Profanisierung und Trivialisierung, eine demokratische Eroberung des einstigen Propagandageländes: Das ist das offizielle Konzept der Stadt Nürnberg im Umgang mit dem Ehemaligen Reichsparteitagsgeländes. Das Panel „Steinerne Zeugen“ vom 24. September 2021 diskutiert in verschiedenen Vorträgen und einer Podiumsrunde aktuelle Fragen zum Umgang mit dem Gelände und wagt sich an Gedankenspiele zur künftigen Nutzung und Auseinandersetzung der Nazi-Bauten.
Historikerin Sylvia Necker übernimmt die Moderation des zweistündigen Panels und wirft zu Beginn der Podiumsdiskussion vier Begriffe für eine mögliche Nutzung des Nürnberger Areals in den Raum: Umsetzung, Überbauen, Umgang und Freilegen. Was davon ist die richtige Strategie und gibt es die überhaupt? Darüber diskutieren unter anderem die asiatisch-deutsche Stadtforscherin Dr. Noa K. Ha, der Professor für Architekturtheorie Stephan Trüby und der Kulturwissenschaftler Jörg Skriebeleit.
Zuerst wird Dr. Noa K. Ha um eine persönliche Einordnung der oben genannten Verfahren gebeten. Die Migrations- und Integrationsforscherin arbeitet an der Schnittstelle verschiedener Disziplinen zur Produktion des städtischen Raums. Aus einer rassismuskritischen und dekolonialen Perspektive befasst sie sich mit der Kolonialität der europäischen Städte. Ein gesellschaftlich-politischer Leitfaden für die Auseinandersetzung mit den NS-Hinterlassenschaften sei nicht so einfach festzulegen. Zunächst müssen verschiedene Perspektiven der Opfer und Täter*innen des Ortes betrachtet werden, erklärt die Stadtforscherin.
"Es ist schwierig zu sagen, das ist die richtige Strategie. Weil ich glaube, um die richtige Strategie zu entwickeln, ist wichtig zu schauen, was ist die Perspektive der Opfer und die Perspektive der Täter? Weil wir viel über Täter-Architektur, Täter-Repräsentation sprechen und es ist glaube ich dann ein Unterschied, wie ich sozusagen das Dekonstruieren umprogrammieren kann. Ich habe gestern ein Panel moderiert zu ‚30 Jahre Hoyerswerda‘ und es gibt viele Todesfälle, die nicht bekannt sind und wo sozusagen das Freilegen und den Geistern Raum zu geben überhaupt wichtig ist, damit sich das irgendwann manifestiert und konkretisiert. Auf jeden Fall ist es nötig, die Repräsentationslogik nochmal überhaupt zu kontextualisieren und nachzuvollziehen: Was waren eigentlich die Machtlogiken dahinter? Wer war daran beteiligt? Und insofern sehe ich dort viele neue Möglichkeiten."
Als "offenes Gedankenspiel" wird die Frage einer möglichen Strategie zur künftigen Nutzung der baulichen Nachlasse der NS-Diktatur an Stephan Trüby weitergegeben. Der Stuttgarter Professor für Architekturtheorie hatte zuvor Forschungsergebnisse seines Projekts "Rechte Räume in einem 20-minütigen Vortrag zusammengefasst. In diesem erläutert er sein Verständnis von Architektur und Ideologie im Verhältnis zueinander. Trübys persönliche Meinung ist, dass es in der Tat Architektur im Faschismus und in der Diktatur gebe, er glaube aber nicht, dass es "rechte Architektur" gibt. "Rechte Räume gibt es im Sinne eines Handlungsbegriffs. Eine rechte Ideologie kommt in die Diskussion von Architekturen und Stadtplanungsdiskursen vor allem über den Handlungsbegriff, über Verlautbarungen." Wie sieht ein konkreter angemessener Umgang der "steinernen Zeugen" für Stephan Trüby aus?
"Ich denke diese vier Begriffe – Umsetzung, Überbauen, Umgang, Freilegen – könnten sicherlich auch gemischt werden. Ich frage mich eher, welche große "Wetterlage" benötigt man, um hier überhaupt einen produktiven Kontext zu erschaffen, um weiterzudenken und weiterzukommen. Bekanntlich hat die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas leider nicht geklappt, ich denke, das wäre eine wunderbare Gelegenheit gewesen, hier eine Überbauung oder eine Teilüberbauung, eine Umdeutung dieses Areals hinzubekommen. Ich scheue mich davor, auf das Pferd einer dieser vier Begriffe zu setzen und zu sagen 'das ist die Lösung'.“
Anmerkend auf eine Frage aus dem Publikum führt Professor Trüby einen interessanten wie simplen Ansatz vor: "Ich wünsche mir nach wie vor, alle Versuche, auch die absurdesten, schrecklichsten, schlechtesten Vorschläge mal zu sammeln und in das Schema von Bernard Tschumi einzugliedern, {Schweizer Architekt in seinem Aufsatz „Die Gewalt der Architektur“, 1981: »Es gibt keine Architektur ohne Handlung, keine Architektur ohne Ereignis, keine Architektur ohne Programm«} um mal zu schauen, was wurde alles schon getestet, aus welchen Gründen ist dies und das eine schlechte Idee gewesen und womöglich deswegen gescheitert und was wurde noch nicht gedacht? Das wäre vielleicht ein erster entscheidender Analyseschritt, um eine weitere produktive Perspektive für dieses Gelände zu entwickeln.“
„Gescheiterte Gestaltung als Steinbruch für Neues“, fasst Historikerin Sylvia Necker den Gedankengang von Trüby zusammen und bittet anschließend Kulturwissenschaftler Jörg Skriebeleit um seine Einschätzung.
"Es gibt keinen Masterplan im Umgang mit solchen Orten, es gibt nur Versuche. Die sind aus verschiedensten Gründen nicht nur Diskurs-, sondern akteurszeitgebunden und es ist eine totale Illusion, wenn man denkt, es gibt einen Masterplan, man hat es jetzt im Griff und das ist die Chance, dass sich Generation immer wieder daran reiben. Wenn es nicht mehr so ist, dann sind die Geister verschwunden. Aber dann sind sie auch entpolitisiert. Man muss natürlich auch gestalten, man muss Räume schaffen, man muss Räume nutzen, man muss sich Räume nehmen.“
Über einen Punkt sind sich alle Beteiligten des Panels einig: Die Diskussion über den Umgang mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände darf nicht enden. "Das Schlechteste wird sein, wenn wir über diese Dinge nicht mehr reden und sie nicht mehr immer wieder verhandeln", appelliert Skriebeleit.
Eigene Meinung:
Es gibt Gründe, die Effektivität unserer öffentlichen Erinnerungskultur anzuzweifeln. Zwei Generationen nach dem Holocaust sind Antisemitismus und Rassismus wieder auf dem Vormarsch, und das schon seit Langem nicht nur im politisch-rechten Spektrum der Gesellschaft. Judenhass und Hass gegen Menschen, die anders aussehen, denken, glauben, lieben, ist durch alle Schichten hinweg gesellschaftsfähig geworden.
Die Erinnerungskultur ist nie nur die Geschichte, sondern der Zusammenstoß zwischen den Geschehnissen der Geschichte, die unterschiedlich sind und die Rezipienten, also eben die Gesellschaft. Die Frage lautet also: Wie machen wir unser geschichtliches Erbe zugänglich für ein postmigrantisches, internationales Publikum?
Zwei Vorschläge: durch Spurensuche und ständigen Fragestellungen. Mit welcher Intention sind diese Nazi-Bauwerke überhaupt entstanden? Was sollten sie intentional aussagen? Welche bestimmten Mechanismen lassen sich an der historischen Quelle "Bauwerk" verdeutlichen?
Auf der einen Seite habe ich eine historische Quelle und jeder Eingriff auf so ein Bauwerk ist eben ein Eingriff in eine historische Quelle, das müssen wir uns vor Augen halten. Wir müssen uns fragen: Was ist möglich, ohne dass wir das historische Zeugnis tatsächlich überformen oder verformen? Auf der anderen Seite braucht jedes Erhaltungskonzept auch ein Nutzungskonzept. Vor allem bei Gebäuden (und dem Areal) dieser Größenordnung ist die Musealisierung kaum möglich. Deshalb ist es wichtig, die geschichtlichen Hinterlassenschaften lebendig zu halten. Das erfordert eine aktive gesellschaftliche Nutzung, die in einer bestimmten Form eine lebendige Nutzungskultur und Präsenzerfahrung beinhaltet.
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz
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