Dr. Pascal Metzger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und verantwortlich für den Bereich Erinnerungskultur des Vereins „Geschichte Für Alle“. Wir haben mit ihm über die Gründung und Ziele des Vereins gesprochen, was man in der Vergangenheit hinsichtlich des Umgangs mit dem Reichsparteitagsgelände besser hätte machen können und was er sich für die Zukunft des nationalsozialistischen Erbes in Nürnberg wünscht.
Welches Ziel hat der Verein?
Wir wollen Geschichte ansprechend und interessant für alle und nicht nur für Fachleute darstellen. Wir beschäftigen uns in Nürnberg, Fürth, Erlangen und Bamberg mit der Geschichte insgesamt, nicht nur mit den Nationalsozialisten. Als der Verein Mitte der 1980er-Jahre gegründet wurde, war Geschichtswissenschaft noch eine recht elitäre Angelegenheit. Auch viele Museem waren eher auf Fachpublikum als normale Besucher ausgelegt, nicht für den interessierten Laien. Genau das haben sich damals die Gründer des Vereins auf die Fahne geschrieben und wollten die Geschichte so darstellen, dass sie für jedermann zu verstehen ist. Das ist auch heute noch unser Motto. Dabei beschäftigt sich der Verein nicht nur mit den spannenden oder beliebten Themen, wie beispielsweise Stadtrundgänge und Führungen durch die Gebiete auf die man in Nürnberg stolz ist. Wir führen auch gerne durch die abseits liegenden Pfade wie Problemstadtviertel oder all das, was man vielleicht auch als Schandflecken der Stadt betrachten könnte.
Wie bedeutend ist das nationalsozialistische Erbe in Nürnberg für den Verein?
Das Reichsparteitagsgelände hat auf jeden Fall den Ausschlag dafür gegeben, den Verein zu gründen. Mitte der 1980er-Jahre gab es auf dem Gelände kein einziges Hinweisschild was dort mal gewesen ist. Es gab auch keine wissenschaftliche Publikation über die Reichsparteitage. Wenn überhaupt wurde die Geschichte zu dem Gelände nur am Rande erwähnt. Auch das Dokumentationszentrum war noch nicht vorhanden. Der Vorläufer wurde erst 1985 eröffnet und zeigte die Geschichte mit der Ausstellung „Faszination und Gewalt“. Zu dieser Zeit hat man sich also von offizieller Seite gar nicht viel mit dem nationalsozialistischen Erbe auseinandergesetzt. Das Interesse der Öffentlichkeit war aber bereits vorhanden. Tausende Besucher aus der ganzen Welt, die davon gehört oder gelesen hatten, waren bereits vor Ort in Nürnberg auf der Suche nach mehr Informationen. Deren Wissbegierde hat der Verein versucht zu stillen. Wir waren die Ersten, die Führungen über das Gelände angeboten haben. Diese bieten wir auch heute noch an. Aber das ist nicht der einzige Schwerpunkt von Geschichte Für Alle.
Finden Sie es richtig, wie nach dem Krieg mit dem Gelände umgegangen wurde?
Die Bezeichnung „richtig“ ist schwer zu beantworten. Man muss sich dazu immer in die jeweilige Zeit zurückversetzten und betrachten, wie damals damit umgegangen wurde. Unsere heutigen Maßstäbe dürfen wir nicht auf frühere Jahrzehnte übertragen. Ich habe für vieles was damals entschieden wurde Verständnis. Trotzdem hätte ich mir an der ein oder anderen Stelle gewünscht, dass man früher damit begonnen hätte, sich mit der nationalsozialistischen Geschichte auseinanderzusetzen und dadurch einige Teile des Geländes nicht abgerissen oder überbaut hätte.
Was hätten Sie persönlich anders gemacht?
Ich hätte mir gewünscht, dass man die Zeppelintribüne erhalten und nicht die Hälfte weggesprengt hätte. Ich hätte mir auch gewünscht, dass man die Luitpoldarena nicht abgerissen und dort einen Park gebaut hätte. Oder dass das Messegelände seinen Platz nicht auf dem Reichsparteitagsgelände gefunden hätte. Es wäre auch schön, wenn es heute am Bahnhof Märzfeld einen würdigen Gedenkort gäbe. Ein Ort, wo bis 1938 die Parteitagsteilnehmer gut gelaunt und jubelnd an- und abgereist sind. Während des Krieges wurden hier zehntausende Kriegsgefangene nach Nürnberg gebracht und die fränkischen Juden in Vernichtungslager deportiert. Der Bahnhof ist damit in seiner Doppelrolle als Ort der Opfer und Täter herausragend. Heute gibt es dort aber nur eine Stele die an diese Zeit erinnert. Dennoch ist es eine recht trostlose Situation. Ich glaube aber, dass die Stadt Nürnberg hier in den nächsten Jahren noch etwas unternehmen wird. Dennoch sehe ich es als klares Versäumnis an, dass man hier nicht schon vor mindestens 20 Jahren etwas unternommen hat.
Was halten Sie davon, dass viele Orte damals sowie auch heute für Freizeitaktivitäten genutzt werden? Eine der Feuerschalen der Zeppelintribüne wurde beispielsweise im deutschen Stadionbad als Plantschbecken genutzt. Was ist Ihre Meinung dazu?
Ich finde die Nutzung des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes für Freizeitaktivitäten sehr gut. Das Gelände um den Dutzendteich war jahrhundertelang ein Erholungsort der Nürnberger, lange bevor die Nationalsozialisten hier ihr Reichsparteitagsgelände erbaut haben. An den Wochenenden und Feiertagen wurde dort auf dem Teich mit Booten gefahren, in die Wirtshäuser eingekehrt, Fußball gespielt und das Stadionbad besucht. Das Gelände sollte aber nicht nur dem Freizeitspaß dienen, sondern auch ein historischer Ort für politische Bildung sein. Ich finde auch das Festival „Rock im Park“, welches dort jährlich mit seinen Zehntausenden bunt gemischten Besuchern aus aller Welt stattfindet sehr schön. Größer könnte der Unterschied zu dem was die Nationalsozialisten damals dort gemacht haben nicht sein. Jedoch sollten die Veranstaltungen auf dem Gelände nicht überhandnehmen. Es sollte ausgewogen sein. Ansonsten würde das das Gelände zu sehr beanspruchen. Und auch die spannende Nutzung der Feuerschale, in der viele Nürnberger damals ahnungslos gebadet haben, gefällt mir gut.. Die Alternative, das Gelände nicht zu nutzen, wäre in meinen Augen die falsche Herangehensweise. Dann würde man in Ehrfurcht davor erstarren. Wichtig ist für mich bei der Freizeitnutzung, dass die originale Bausubstanz erhalten bleibt. Dass man die Bauten nicht angreift oder verändert. Bei Rock im Park ist das beispielsweise nicht der Fall, da die Zeppelintribüne bei dem Festival abgesperrt ist.
Aktuell wird ja wieder viel über das Gelände diskutiert. Wie nehmen Sie den öffentlichen Diskurs zum Umgang mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände wahr?
Der Verein Geschichte Für Alle hat sich ganz klar gegen den Bau des Opernhauses in der Kongresshalle ausgesprochen. Denn auch wenn das Gebäude nie benutzt wurde und heute eine Bauruine ist, ist es dennoch ein herausragendes Denkmal in der deutschen Erinnerungskultur. Der geplante bauliche Eingriff und die architektonische Veränderung sind für uns zu groß. Nach unseren Vorstellungen sollte die Oper ein anderes Ausweichquartier finden. Für uns ist das historische Bauwerk genauso eine Geschichtsquelle wie Schriftstücke im Nürnberger Stadtarchiv. Diese würde man ja auch nicht zerstören. Deshalb finden wir als Verein einen Neubau innerhalb der Kongresshalle oder direkt daneben den falschen Ansatz. Doch die Entscheidung des Stadtrates ist gefallen und wir müssen sehen, wie es in Zukunft weiter geht.
Was wünschen sie sich in Zukunft für das Gelände?
Der Verein hat aktuell keine großen Wünsche, denn die Stadtverwaltung und -gesellschaft haben in den letzten Jahrzehnten gute Arbeit geleistet. Ich persönlich würde mir aber wünschen, dass das Zeppelinfeld in Stand gesetzt wird und in Zukunft das Feld wieder betreten werden kann. Das ist ja aktuell auch geplant. Ich würde mir auch wünschen, dass das Gelände nicht weiter überformt wird. Das Nürnberger Messegelände würde sich gerne weiter ausdehnen. Das könnte aber nur auf direkt angrenzenden Flächen des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes passieren. Und wenn dort neue Hallen oder Parkhäuser entstehen würden, wäre wieder ein Teil des Geländes verloren. Außerdem würde ich mir wünschen, dass das unter Denkmalschutz stehende Fußballstadion nicht abgerissen wird. Denn der 1. FC Nürnberg hätte, verständlicherweise, gerne ein moderneres Stadion mit Platz für VIP-Logen, um wirtschaftlich auf gesunden Füßen stehen zu können. . Zusammenfassend wünschen wir uns als Verein, dass die historischen Bauwerke des Reichsparteitagsgeländes erhalten werden und nicht durch moderne Bauten verstellt werden. Außerdem wünschen wir uns, dass das gesamte Gelände und seine Gebäude in Zukunft zugänglich gemacht werden und Menschen aus aller Welt die nationalsozialistische Geschichte betrachten, betreten und berühren können.
Quellen:
Abbildung 1: "Steintribüne. Betreten auf eigene Gefahr" aus "Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg" von Alexander Schmidt, Sandberg Verlag Nürnberg, 2017, Seite 244
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz
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