Geht ihr in die Oper?
Natalia: Seltenst. Ich war schon da, aber tatsächlich war ich wahrscheinlich öfter im Rahmen von Schulveranstaltungen dort als ganz privat.
Artemi: Ich bin ehrlich gesagt selten in der Oper. Ein Schauspiel schau ich mir schon gerne ab und zu mal an; auch gerne Inszenierungen. Oper bin ich jetzt relativ weit entfernt.
In einem Forderungspapier der politbande kritisiert ihr, dass die Stadt Nürnberg die Oper zu stark subventioniert. Ihr sagt: Das ist ungerecht derer gegenüber, die nicht in die Oper gehen. In Zukunft gibt die Stadt mit dem Interimsgebäude und der Sanierung noch mehr Geld dafür aus. Wird die Ungerechtigkeit dadurch noch größer?
Artemi: Es ist definitiv so, dass die Subventionen für die Hochkultur – zum Beispiel der Oper – ohnehin schon sehr hoch sind. Es kursieren bei der Sanierung Zahlen von einer Milliarde Euro. Mittlerweile gibts auch deutlich verträglichere Zahlen von einer halben Milliarde. Trotzdem schwingt das Wort Milliarde mit und wir sind uns dessen bewusst, dass diese Ausgaben den Haushalt der Stadt für Dekaden lähmen würden. Die Kulturkreise, die wahrscheinlich am meisten darunter leiden würden, wären unter anderem die freie Kulturszene, die sowieso schon um jeden Cent kämpft.
Weshalb?
Artemi: Weil dieses Projekt so teuer ist, wird die Stadt trotz Unterstützung vom Freistaat sparen müssen. Das ist ein kommunaler Haushalt. Wenn eine Milliarde Euro irgendwohin fließt, dann muss sie an anderer Stelle wieder eingespart werden. Unter anderem da.
Natalia: Es ist überhaupt nicht unser Ziel, Sub- und Hochkultur gegeneinander auszuspielen. Da wird die politbande oft falsch verstanden. Wir sind die letzten, die sagen, es soll kein oder weniger Geld für Kultur ausgegeben werden. Kultur ist wahnsinnig wichtig. Bei den Subventionen gibt es aber Probleme. Die Frage ist: Wem kommt es wirklich zugute? Eine Sache, die wir an den normalen Subventionen des Opernhauses immer wieder kritisiert haben, ist, dass die Stadt Geld reinsteckt und die Tickets für sehr viele Leute trotzdem zu teuer sind. Selbst die Schüler*innen-Tickets kosten mindestens so viel wie ein Kinobesuch. Die Standarttickets sind nur für ein ganz bestimmtes Publikum erschwinglich. Wenn so viel Geld reinfließt, muss es auch eine Möglichkeit geben für Menschen mit weniger Geld, an diesen Veranstaltungen teilnehmen zu können.
Die andere Sache ist die anstehende Sanierung. Wir sagen nicht: Wir haben hier eine wichtige Kulturinstitution in Nürnberg und sind der Meinung wir brauchen sie gar nicht, da sollte kein Geld reinfließen. Es geht um die Verhältnismäßigkeit. Wir reden von sehr, sehr hohen Kosten. Die Stadt hat es runtergeschätzt, aber man weiß nicht genau auf welcher Grundlage. Diese Sanierung ist ein Fass ohne Boden. Niemand weiß, welches Material hinter der nächsten Wand verbaut ist und was da für Zusatzkosten auf einen zukommen. Das Staatstheater hat dann aber immer noch nicht die Räumlichkeiten, die es sich eigentlich wünscht. Selbst nach aufwändigster Sanierung wird das Opernhaus am Richard Wagner-Platz nicht die optimale Spielstätte bieten, die alle Wünsche und Anforderungen des Staatstheaters erfüllt.
Ihr sprecht euch für einen Neubau des Opernhauses auf dem Reichsparteitagsgelände aus. Was wären die Vorteile eines Neubaus gegenüber der aktuellen Version?
Artemi: Wenn man einen dauerhaften Neubau planen würde, würde man nicht davon ausgehen, dass es nur für zehn Jahre ist. Dafür wäre dann wahrscheinlich ein weltweiter Wettbewerb ausgeschrieben und man würde ein Konzept entwickeln, wie man die Erinnerungskultur in Einklang bringt mit einer aktiven kulturellen Nutzung. Zum Beispiel durch moderne Opernnutzung und Räume für Kunst- und Kulturschaffende. Man könnte ein großes Kulturzentrum schaffen mit überregionaler Bedeutung und damit auch ein Symbol setzen für eine neue Art des Umgangs mit vorbelasteten Hinterlassenschaften; eine multiperspektivische und pluralistische Herangehensweise an solche NS-Relikte. Wenn man jetzt einen Opern-Interim hinsetzt, der eigentlich nur ein Notbau ist, würde man ziemlich viel Geld dafür aufwenden für etwas, das einerseits keinem wirklich tiefgreifenden Konzept der Geschichtsaufarbeitung entspricht und sich dann damit noch ein Problem für morgen schaffen. In zehn Jahren wird man sich fragen: Wohin damit? Wie nutzen wir das jetzt? Wegschmeißen? Recyclen? Das ist eine Lösung, die in erster Linie aus zeitlicher Not entsteht.
Natalia: Wir fänden es wahnsinnig spannend und mutig dort etwas zu etablieren, was zum ständigen Diskurs anregt und immer wieder diese Auseinandersetzung schafft. Dass eben nicht von einigen wenigen Expert*innen diese Erinnerungskultur beschlossen und vorgegeben wird. Sondern, dass es in der breiten Bevölkerung ausdiskutiert wird. Ganz abgesehen davon hätten wir sehr pragmatische Vorteile bei einem Neubau. Die Kosten wären viel, viel besser kalkulierbar und man hätte nur eine Baustelle. Wir sprechen hier auch nicht nur von der Oper, sondern vom Staatstheater, das dorthin umzieht. Man vergisst manchmal, dass das Staatstheater ein Mehrspartenhaus ist, wo auch jetzt schon verschiedene Sachen stattfinden: Oper, Operette, Theater, Ballett. Dieses Mehrspartenhaus könnte sich auf diesem Gelände einrichten und gleichzeitig hätte man die Künstler*innen-Ateliers, von denen schon lange gesprochen wird und die jetzt geplant sind. Damit hätte man einen viel besseren Zugang, dass sich verschiedene Kultursparten austauschen können und Grenzen zwischen Hoch- und Subkultur aufgelöst werden können. Die Übergänge wären mit einem großen, kulturellen Zentrum viel fließender.
Wir haben auch kein Staatstheater im Sinn, das sich ausschließlich mit NS-Diktatur beschäftigt. Es gibt das Dokuzentrum, das seit vielen Jahren großartig arbeitet. Aber das könnte vielleicht nochmal neue Räume hinzubekommen. Es wäre auf vielen Seiten eine Win-Win-Situation. Ein Ort der Kultur, des freien Denkens, des Austauschs; an diesem Ort, wo all das verboten und unterdrückt war. Das ist ein spannendes Zeichen.
Vor einigen Tagen kam eine Stellungnahme des bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege an die Öffentlichkeit. Das sieht einen Kubus im Hof kritisch, weil es über das Scheitern dieses Größenwahns hinwegtäuschen würde.
Artemi: Das ist ein typisches Beispiel für eine konservative Art Geschichte aufzuarbeiten. Zu sagen: Diese Fläche soll als leerer Denk- und Erinnerungsort freigehalten werden, um dem Ort die Authentizität nicht zu rauben. Meine persönliche Meinung ist: Das ist keine moderne Art mit Erinnerungskultur umzugehen. Es gibt auch die Möglichkeit einer pluralistischen Multicodierung, bei der verschiedene Konzepte nebeneinander funktionieren. Man muss nicht den Hof freihalten und das Gebäude unantastbar auf ein Podest setzen, um den Größenwahn zu erkennen. Wenn im Hof ein kleiner Kubus steht mit einem Raum hat man immer noch denselben Eindruck von der Größe dieses Gebäudes.
Natalia: Wir als politbande wären ja nicht die alleinigen, die entscheiden, wie dieser Kubus aussieht. Wir haben mit vielen Personen und Architekt*innen gesprochen. Es gibt Ideen, die durchaus das Monumentale dieses Gebäudes erhalten oder betonen. Es gibt Konzepte, dass das Gebäude gestört wird mit einem Pfeiler durch einen Teil der Kongresshalle, um einen Bruch zu zeigen. Oder Konzepte mit einem Kubus außerhalb, nicht im Innnenhof.
Kann man das, was ihr gerade gesagt habt, in einem Interimsgebäude für zehn Jahre verwirklichen?
Artemi: Nein, das wird nicht funktionieren. Ich glaube nicht daran, dass in Windeseile ein Konzept entwickelt werden kann für einen Bau, der diese Parameter berücksichtigt. Es bräuchte einen sehr durchdachten, mehrstufigen Wettbewerb. Zuerst mit städtebaulichen Konzepten und in einer zweiten Phase dann mit dem Baukörper.
In der Stadt steht man aber unter Zeitdruck, weil das Staatstheater baufällig ist.
Natalia: Die Zeitnot ist da. Ernesto hat viele Gespräche mit Menschen von der Stadt geführt. Aus der Bevölkerung haben wir mitbekommen, dass sie sich viel mehr Zeit und eine frühere öffentliche Diskussion wünscht. Das ist ein ganz großer Missmut, den die Stadt da geschaffen hat. Sie stellt die Einwohner*innen vor vollendete Tatsachen, es wird dann nur noch oberflächlich diskutiert oder nur zum Schein. Ein Neubau würde vielleicht ein, zwei Jahre länger dauern. Wir müssten nicht nochmal in eine zahnjährige Planungsphase. Der Stadtrat hat trotz allen Widerstands aus sehr, sehr vielen verschiedenen Richtungen das Interimsgebäude beschlossen. Wer da wie mitarbeiten kann, wird man sehen. Das Interimsgebäude ist die schlechteste Lösung, und stößt vielen Leuten vor den Kopf. Auch andere Gruppen haben einen Neubau gefordert. Andere waren dagegen, dieses Gebäude auf dem Reichsparteitagsgelände zu etablieren. Aber: Mit diesem Interimsgebäude auf dem Gelände arbeitet man gegen Leute, die sich einen Neubau gewünscht haben. Und man arbeitet gegen die Leute, die nicht auf diesem Gelände bauen wollten.
Artemi: Wenn man ein Gebäude für mehrere Millionen Euro für zehn Jahre baut, dann lohnt es sich zu überlegen, was mit dem Baukörper danach passiert. Es ist ein fataler Fehler, jetzt nicht über solche Themen nachzudenken. Es gäbe sicher Möglichkeiten, wie man für bestimmte Kulturkreise eine Nachnutzung findet.
Das heißt: nicht rückbauen, sondern weiternutzen. Bei diesem Vorschlag würde der Interimsbau ja dauerhaft bleiben.
Natalia: Das ist noch nicht beschlossen. Es gibt aber einige Zeichen in die Richtung, dass es wieder abgebaut wird. Als politbande werden wir unsere Positionen dazu noch entwickeln müssen – je nachdem, was da wie hingestellt wird. Gerade sind wir enttäuscht von dem Beschluss, der jetzt gefasst worden ist. Es gab viele Aushandlungsprozesse und eine große Diskussionsrunde beim World Café, initiiert von Hans-Joachim Wagner. Da waren viele Interessensgruppen, es wurde lange diskutiert. Das Ergebnis war ganz klar: Nürnberg wünscht sich ein neues Opernhaus. Das wurde einfach ignoriert.
Aber die Zeit bis 2025 ist extrem knapp.
Natalia: Die Zeit ist so oder so knapp. Es ist schon sehr lange klar, dass das Haus am Richard Wagner-Platz saniert werden muss und da wurde sehr viel verschlafen von der politischen Seite.
Artemi: Obwohl die Stadt es verschlafen hat, finde ich es gut, dass jetzt zumindest der Diskurs in verschiedenen Formaten aufgenommen wird. Bemerkenswert finde ich auch die Initiative der International Public Summer School. Ich bin froh, dass man so langsam in die Debatte einsteigt, obwohl es eigentlich schon ein wenig zu spät ist.
Artemi Rashba ist 30 Jahre alt und von Beruf Architekt. Seit letztem Jahr gehört er der politbande an.
Natalia Buholzer Sepúlveda ist 31 Jahre alt und Lehrerin an einer Berufsoberschule für Biologie und Englisch. Die politbande hat sie 2018 mitgegründet.
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz
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