Gewalt kennt viele Dimensionen. Gewalt kann gegen Menschen und Tiere eingesetzt werden. Gewalt ist rücksichtslos angewandte Macht. Wie kann man Gewalt stoppen? Mit dieser Frage beschäftigen sich im Rahmen eines Panels auf der Tagung Public Art: Das Recht auf Erinnern und die Realität der Städte Moderator Gürsoy Dogtas gemeinsam mit dem Künstler Ulf Aminde, der forschenden Aktivistin Ayse Gülec und einem Aktivisten der Initiative Das Schweigen durchbrechen.
Alle Redner*innen schlagen während ihrer Einführungsreden einen ähnlichen Tonfall an: Die Opfer der NSU-Verbrechen und deren Familien und Freunde dürfen auf keinen Fall erneut Gewalt, sei es physischer oder psychischer Natur, ausgesetzt werden. Was den Zuhörer*innen nach dem Panel auch klar ist: Dafür ist es längst zu spät. Viele Betroffene erfahren auch nach den Anschlägen immer weiteres Leid. Hier nur einige Beispiele: Gemeinsam sprachen sich Familie und Freunde der Toten für die Umbenennung der Straßen in die Namen der Opfer aus – der Antrag wurde abgelehnt. Auf der Gedenktafel von Abdurrahim Özüdogru, der in seiner Änderungsschneiderei ermordet wurde, steht die Inschrift: „Von Nazis ermordet“- das Wort „Nazi“ wurde vollständig weggekratzt. Die Gedenktafel des ermordeten Enver Simsek wurde drei Mal neu angebracht - das eine Mal fand man sie im Wald, zwei Mal blieb sie verschwunden.
Während die Initiative Das Schweigen durchbrechen der Stadt Nürnberg eine unzureichende Aufarbeitung der NSU-Morde vorwirft, äußert Ayse Gülec Kritik am Strafprozess vor dem Oberlandesgericht München. Ulf Aminde zeichnet ein ähnliches Bild von der Aufarbeitung der NSU-Morde durch die Stadt Köln. Das Publikum hat keine Einwände. Jeder der gekommenen Künstler*innen, Medienvertreter*innen und Kunstinteressierten ist sich einig: Ein Mahnmal, wie es die Stadt Nürnberg vor die Tore der Altstadt gesetzt hat, kann und darf nicht ausreichend sein. Unmittelbar vor den gewaltigen Stadtmauern ist dieser Gedenkort fehl am Platz. Denn es signalisiert: Ihr müsst draußen bleiben- und die Diskriminierung geht weiter.
Was an der Tagung fehlt: Ein echter Adressat. Die zweite Bürgermeisterin der Stadt Nürnberg, Julia Lehner, hat sich bereits kurz nach ihren einleitenden Worten am Anfang der Veranstaltung verabschiedet. Ein anderer, wohl wichtigerer Termin ruft. Ein ehrliches Schuldeingeständnis oder zumindest eine Verteidigung durch Vertreter*innen der Stadt hätte diesen faden Beigeschmack zumindest ein wenig neutralisiert. Doch die Stadt zieht ihren Kopf aus der Schlinge, duckt sich vor der Verantwortung weg. Dabei haben die Verantwortlichen mit der Ausrichtung der Tagung einen Schritt in die richtige Richtung gewagt. Man signalisierte: Wir wollen uns mit der Thematik auseinandersetzten. Doch was bringt es, wenn die Menschen im Saal überzeugt werden, obwohl sie es doch längst sind?
Für einen echten Diskurs und eine echte Änderung muss sich die Szene öffnen, kann sich nicht im historischen Rathaussaal hinter den großen Fenstern und dicken Mauern einnisten. Derartige Tagungen sind wichtig und richtig für einen gesellschaftlichen Diskurs. Aber zu einer Gesellschaft gehören eben alle Bürger*innen. Und die gilt es, mit weiteren leicht zugänglichen Angeboten anzusprechen. Die Stadt muss mit der Rolle, die ihr durch die rassistischen Attentate zugeschrieben wurde, verantwortungs- und rücksichtsvoll umgehen. Damit die Gewalt nach der Gewalt endlich ein Ende hat.
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz