Wer am Sonntag, den 19. September in Langwasser unterwegs war und die Unterführung des Bahnhofs passieren wollte, bekam ein ungewohntes Schauspiel geboten: Zwei Architekturstudenten aus Aachen und Wien wollen mit einer Kunstinstallation mehr Bewusstsein für den historischen Hintergrund des Stadtteils schaffen.
„Ausländer“ und „Deutsche“ heißt es auf den Schildern, die den Fußweg durch die Unterführung in links und rechts unterteilen. Auf dem Boden ist eine rote Linie zu sehen. Eine Provokation, die nur wenige kalt lässt. Doch das ist nur der Eyecatcher: Eigentlich geht es um eine Karte, die zwischen Fuß- und Radweg angebracht ist. Die Karte zeigt Langwasser in seinem heutigen Zustand. Darübergelegt sind die Umrisse der Anlagen, die dort während der Reichsparteitage standen. Sowohl das Märzfeld als auch Zelt- und später Arbeitslager haben hier ihren Platz gefunden. Während der Bahnhof Märzfeld zwar leicht zu übersehen ist, aber immerhin noch vorhanden, sind von den Anlagen in Langwasser kaum noch Überreste sichtbar.
„Wir wollen die Leute darauf ansprechen, ob ihnen überhaupt bewusst ist, wo sie wohnen. Die meisten Menschen hier kommen aus Langwasser und der Umgebung, bewegen sich hier fort und wissen aber gar nicht, an welchen geschichtlichen Orten sie vorbeikommen oder auch direkt wohnen“, erklärt Janik Römer die Aktion. Römer ist Architekturstudent an der RWTH Aachen und steckt zusammen mit Paul Schneider, Architekturstudent von der TU Wien, hinter dem Projekt. Wer sich mit den Studenten unterhält, darf mit einem Edding seinen Weg auf der Karte einzeichnen und sieht dann, was früher auf dieser Route stand.
Die ursprüngliche Idee zur Geschichtsstunde mit provokantem Aufmacher hatte Paul Schneider. „Ich habe gesehen, dass in Langwasser alles entfernt wurde, dort aber viel Geschichte passiert ist. Deshalb habe ich überlegt, wie man das wieder sichtbar machen kann“, erläutert der Architekturstudent den Entstehungsprozess. Die Inspiration zu den Schildern kam Schneider durch die Ausstellung „Deutschland#ANSCHLUSS#Österreich“ des Satirikers Jan Böhmermann in Österreich. Der hat die Schlangen an den Kassen ebenfalls in „Österreicher“ und „Ausländer“ unterteilt. Schneider möchte damit irritieren. Besonders in einem Stadtteil mit hohem Migrationsanteil, wie Langwasser: „Vielleicht ist das auch oft schwierig, wenn man andere Wurzeln, aber auch einen deutschen Pass hat. Was bin ich dann wirklich?“
Eine Überlegung, die sich bewahrheitet: Eine Frau kommt auf die Unterführung zu und wird langsamer. „Wo soll ich mich hier einordnen? Ich komme aus Russland, habe einen deutschen Pass und wohne in den USA.“ Die Architekturstudenten erklären, was es mit den Schildern auf sich hat. Die Frau zeichnet ihre Route auf der Karte ein, und geht guter Dinge weiter. So positiv reagiert allerdings nicht jeder auf die Provokation, wie Janik Römer berichtet: „Die Reaktionen waren gemischt und teilweise auch echt hart. Wir saßen hier und wurden nicht direkt als Nazi beschimpft, aber hier haben sich Leute unterhalten und von ‚den Nazis hier‘ gesprochen.“ Andere würden die Schilder sehr ernst nehmen und sich folgsam auf die jeweilige Seite stellen, wieder andere lachen über die Aktion – weil sie den Stand mit der Karte sehen und wissen, dass das nicht ernst gemeint ist. „Aber würden die Schilder ohne den Stand hier hängen, würden sich wahrscheinlich viel mehr Leute angegriffen fühlen.“
Das Konzept geht auf, die Karte mit den eingezeichneten Wegen füllt sich allmählich. Viele Menschen lernen, laut den Initiatoren, auch tatsächlich neue Dinge über die Historie ihres Stadtteils. Daran sollte in Zukunft angeknüpft werden, damit dieser Teil des Reichsparteitagsgeländes nicht in Vergessenheit gerät.
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz
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