Birgit Mair arbeitete jahrelang in der Zeppelintribüne auf dem Reichsparteitagsgelände, beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit rechten Strukturen und verfasste zahlreiche Bücher. Bei ihrem Workshop „Eine Fackel, drei bunte Streifen und nie wieder NSU“ im Rahmen der International Public Summer School 2021 verriet sie den Teilnehmer*innen interessante Geschichten, diskutierte über die Perspektiven im Umgang mit dem Gelände.
Als die Zeppelintribüne auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg für alle zugänglich war, arbeitete sie dort: Birgit Mair. Als pädagogische Fachkraft führte sie Gruppen herum, informierte die Besucher*innen. Doch nicht jede Gruppe wollte auch eine Führung von ihr, erinnerte sich Mair bei einem Vortrag auf der International Summer School 2021. Es war Anfang der 1990er Jahre, als eine Gruppe von Nazis in die Tribüne kam; viele Männer, wenige Frauen mit Kindern. Was folgte, war eine „offene Hitler-Verehrung“, wie es Mair heute ausdrückt: „Das, was der Typ erzählt hat, war ein No-Go.“ Mair und ihre Kolleg*innen baten die Gruppe zu gehen, doch die ließ sich nicht beeindrucken. Es folgte: Ein Anruf bei der Polizei. Doch als die da war, erinnert sich die heute 54-Jährige, hat die Polizei die Personalien von den Mitarbeiter*innen des Geländes aufgenommen, nicht von der Gruppe. „Wenn wir nicht die Polizei gerufen hätten, wären sie schneller wieder raus gewesen“, meint Mair heute.
Eine Geschichte, die zeigt, in welchem Konflikt das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg steckt. Wie also umgehen mit einem Erbe, das geschichtlich relevant ist und dennoch immer wieder Naziaufmärschen dient? Birgit Mair hat da eine klare Meinung: „Ich bin für einen kontrollierten Verfall der Zeppelintribüne.“ Sie engagiert sich seit Jahren in verschiedenen Bündnissen gegen Rechts, organisiert Gegendemonstrationen, beschäftigt sich mit dem Reichsparteitagsgelände.
Und das wird immer wieder Schauplatz rechter Inszenierungen. Bei ihrem Vortrag am vergangenen Samstag zeigte sie ein Video von Nazis auf der Zeppelintribüne, die bei einem Fackelmarsch über das Gelände streiften und die Strophen der deutschen Nationalhymne sangen. Mair erzählt von einem Bus voller chinesischer Tourist*innen, die allesamt die rechte Hand zum Hitlergruß hoben und von Erinnerungsbildern auf der Führerkanzel: sich einmal so fühlen wie Hitler.
Birgit Mair kam 1986 aus Österreich nach Nürnberg. Damals, so erzählte sie, da gab es am Gelände keine Information. Nicht über Hitler, nicht über den Nationalsozialismus, nicht über die Architektur und ihre Wirkung. Heute, über dreißig Jahre später, gibt es sie. Es gibt Informationen über Hitler, über den Nationalsozialismus, über die Architektur und ihre Wirkung. Was es laut Mair nicht gibt: Informationen über die Opfer. „Ich möchte, dass die Perspektive der Betroffenen stärker ins Bewusstsein gerät“, erklärte die Autorin, die selbst schon ein Buch über eben jene Opfer verfasst hat. Ihr fehlen die Geschichten der Opfer der NS-Diktatur, die die Auswirkungen auf die Menschen sichtbar machen. „Die Zwangsarbeit auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände ist gar kein Thema“, bemängelte die Sozialwissenschaftlerin.
Ob jemand die Russenwiese kenne, fragte sie am vergangenen Samstag bei ihrem Vortrag auf der Spiegelwiese in die Runde. Zaghaft gehen ein paar Hände hoch, andere bleiben unten. Wo heute Menschen mit ihren Hunden Gassi gehen, litten Menschen während des NS-Regimes unter unvorstellbaren Schmerzen. Ein „KZ-ähnliches Lager“ von der Gestapo, beschreibt es Mair. Hier herrschten Zwangsarbeit, Verbrechen: Gräueltaten. Und heute? Der Wald ist gerodet, aber eine Info-Tafel fehlt noch immer. Die Opferperspektive fehlt, ist sich Mair sicher.
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz
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