Das Mahnmal für die Opfer des NSU in Nürnberg (Aufnahme von Wladimir Bernaz)
Gerade in Nürnberg ist es schier unmöglich die Zeit des Nationalsozialismus und die mahnende Erinnerung daran nicht auch mit den Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zusammenzudenken. Auch im Rahmen der International Public Summer School 2021 Bilder vom Gelände gehörte deswegen die Besprechung des NSU und der Tat- und Gedenkorte rassistischen Terrors zum Programm. Denn der Zusammenhang wird in den Augen der Veranstalter*innen immer noch zu wenig diskutiert.
Auch zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU muss die Erinnerung und das Gedenken an die Opfer wachgehalten werden, dabei bringt vor allem die Arbeit an den Tat- und Gedenkorten ein anderes Bewusstsein für Jonas Lendl. Er ist Kulturgeograf und beschäftigt sich schon geraume Zeit mit den Verbrechen des NSU-Komplexes, zuerst nur aktivistisch, mittlerweile auch mit wissenschaftlichem Hintergrund. Sein Hauptantrieb ist und bleibt eine vollständige Aufklärung rund um die Verbrechen des NSU. Er und sein Kollege Norman Louis arbeiten schon länger an einem Rundgang zu den Tat- und Gedenkorten.
Im Rahmen der Walking-Tour zu Tat- und Gedenkorten rassistischen Terrors bei der International Public Summer School 2021 wurden die verschiedenen Schauplätze der Verbrechen besucht und vor Ort über die Geschichten der Opfer und die Hintergründe des NSU-Komplexes gesprochen. Für Jonas Lendl ist es dabei schon immer wichtig direkt an die Orte zu gehen:
„Man hält sich dann viel klarer vor Augen, dass hier ein Mord verübt wurde, dass hier ein Mensch gestorben ist. Die Tatorte sind zu Gedenkorten geworden und das ist auch für mich immer wieder interessant, wie sich das alles so ein bisschen verändert hat mit neuen Tafeln, seit wir 2014 angefangen haben.“
Das Besuchen der Tat- und Gedenkorte macht auch bewusst, dass das Orte sind, die mitten im Leben der Stadt sind, die in Wohnvierteln in der Südstadt Nürnbergs zu finden sind und dennoch kennen nicht viele Menschen die genauen Tatorte der Opfer des NSU.
Jonas Lendl, Kulturgeograf und Walking-Tour-Guide (Bild von Ida Hinterholzinger)
Jonas Lendl kann sich das pragmatisch erklären, dass die hohe Anzahl der Nürnberger Opfer einfach dazu geführt hat, dass die unterschiedlichen Orte nicht so bekannt sind und mit der Aufstellung des Mahnmals für die Opfer des NSU ein Ort geschaffen wurde, der an alle drei Mordopfer zusammen gedenken soll. Offizielle Tafeln befinden sich auch heute noch nicht an allen Tatorten, dafür haben andere Initiativen eine dauerhafte Erinnerung an die Opfer geschaffen.
Auch in den Augen von Helga Riedl, Mitarbeiterin des Menschenrechtsbüros der Stadt Nürnberg hat der Besuch der Gedenkorte einen großen Einfluss auf das Gedenken: „Wenn man dann wieder vorbei geht, dann erinnert man sich wieder daran und das ist wichtig, weil das Wissen darum muss immer aufrecht gehalten werden.“
Gleichzeitig merkt sie aber an, dass auch offizielles Gedenken an die Opfer des NSU von der Stadt Nürnberg seit jeher gefördert und umgesetzt wird. 2013 ist Nürnberg die erste Stadt, die ein Mahnmal für die Opfer des NSU mit der gemeinsamen Botschaft der sieben Städte aufstellt, daraufhin folgen der Mosaik-Jugendpreis, Bildungsangebote wie „Rechtsextremismus heute“, Veranstaltungen an den Todestagen der Opfer und die Aufstellung einer Tafel am Tat- und Gedenkort von Abdurrahim Özudoğru in der Gyulaerstraße, sowie das Einrichten des Enver-Şimşek-Platzes im September 2021. Alles rund um die Aufstellung des Mahnmals für die Opfer des NSU, aber auch die Einrichtung von Gedenkstelen und -plätzen an den Tat- und Gedenkorten findet immer in enger Absprache mit den Familien der Opfer statt, so Helga Riedl.
Am Tat- und Gedenkort von İsmail Yaşar waren bis zuletzt Tafeln von zivilgesellschaftlichen Organisationen und den Schüler*innen der Scharrer-Schule zu finden, bis März 2022 soll aber auch hier einiges passieren von Seiten der Stadt Nürnberg: mit der Aufstellung eines Baumes und einer Gedenkstele soll auch an diesem dritte Tatort in Nürnberg offizielles Gedenken stattfinden.
Auch soll im Laufe des Jahres 2022 ein digitaler Rundgang mit QR-Codes realisiert werden.
Dass das erst jetzt passiert ist laut Kritiker*innen spät, immerhin gibt es bereits Generationen an Kindern und Jugendlichen, die nicht mehr selbst miterlebt haben, was der NSU war.
Helga Riedl räumt ein, dass die Stadt an manchen Stellen etwas länger gebraucht hat, bei anderen Projekten waren sie hingegen wieder schneller, zum Beispiel bei der Aufstellung des Mahnmals. Nürnberg war 2013 die erste Stadt, die das umsetzte.
Während der Walking-Tour zur Summer School 2021 wurden auch weitere Kritikpunkte diskutiert. Der Standort des Mahnmals für die Opfer des NSU am Kartäusertor und damit außerhalb der Stadtmauern ist für viele Kritiker*innen ungenügend. Gleichzeitig findet sich das Mahnmal in direkter Nähe zur Straße der Menschenrechte und in einer Reihe von vielen weiteren Mahnmälern, die unter anderem an die Zwangsarbeiter*innen oder die homosexuellen Verfolgten und Ermordeten im Nationalsozialismus erinnern.
Für Helga Riedl ist diese Diskussion rund um den Aufstellungsort eher künstlich, immerhin finden sich in Nürnberg verschiedenste Gruppen an Opfern, die eben alle Raum in der Landkarte des Gedenkens der Stadt einnehmen. Die Position soll definitiv keine Wertung darstellen. In engen Absprachen mit den Familien der Opfer und den Opfer-Anwält*innen wurde dieser abgesegnet.
Auch die oftmals geforderte Umbenennung der Straßen an den Tat- und Gedenkorten stellt sich von Seiten der Stadt eher als schwer umsetzbar heraus: „Straßenbenennung ist immer einfacher, als eine Straßenumbenennung. Denn diese Straßen haben ja schon einen Namen, den man nicht einfach wegnehmen kann, weil der auch eine Bedeutung hat.“
Helga Riedl, Mitarbeiterin des Menschenrechtsbüro der Stadt Nürnberg bei der Walking-Tour (Aufnahme von Wladimir Bernaz)
Ein neuer Stadtratsbeschluss besagt aber, dass neu-auszuweisende Straßen die Namen der Opfer des NSU bekommen sollen. Mit der Einweihung des Enver-Şimşek-Platzes ist in 2021 ein Wunsch der Angehörigen von Enver Şimşek umgesetzt worden, die Gestaltung immer in enger Absprache mit Abdulkerim Şimşek, dem Sohn von Enver Şimşek.
Jonas Lendl sieht immer wieder Parallelen zwischen dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und die Opfer des NSU – Parolen wie „Nie wieder!“ werden in beiden Kontexten verwendet und die Dynamik der umkämpften Erinnerung stellt eine große Analogie in der Gedenkpolitik zu rechtem Terror und zur NS-Zeit dar.
Gerade in der Bildungsarbeit wird diese Parallele und auch die Ideologie, die hinter beiden Verbrechen steht, immer wieder besprochen.
Peter Wendl, Lehrbeauftragter der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg und Mitorganisator der Summer School 2021 wünscht sich vor allem, dass Erinnerungskultur und damit auch die Mahnmale und Gedenkstelen nicht nur als Objekt oder Stein gedacht werden, sondern mehr fluide Erinnerungsorte geschaffen werden, um den Diskurs weiter am Leben zu halten.
Seine Kritik zum geringen Einbezug der Zivilgesellschaft im Rahmen der Sanierung des Reichsparteitagsgeländes, aber auch im Zusammenhang mit dem Gedenken an die Opfer des NSU, bleibt bestehen. Für ihn sind die Angebote zur Mitsprache noch zu wenig aufrichtig.
In den Augen Helga Riedls ist die Stadt Nürnberg hierbei allerdings nicht allein in der Pflicht, Angebote zu machen und die unterschiedlichen Player nach deren Meinung zu fragen. Für sie setzt sich das Gedenken an die Opfer rechter Gewalt aus verschiedenen Gruppierungen zusammen, die in den Diskurs treten sollen. Die Stadt Nürnberg ist eine davon.
Von großem Vorteil für den Diskurs wäre in ihren Augen die Einrichtung eines zentralen Ortes zum Zusammenkommen, ein Raum für Vorträge und Austausch zwischen den verschiedenen Gedenkinitiativen. Das könnte den Diskurs erleichtern und eine bessere Zusammenarbeit ermöglichen. Bis jetzt gibt es aber noch keine Pläne dahingehend.
Jonas Lendl wünscht sich auch eine offene und kritische Debatte, die immer wieder die Fragen stellt: „Woran wollen wir eigentlich erinnern? Wessen Erinnerung berücksichtigen wir eigentlich? Hat die postmigrantische Gesellschaft der Vielen einen Platz in dieser Erinnerungskultur?“
Klar ist für alle vor allem eines: Gedenken an die Opfer rechter Gewalt in Nürnberg ist wichtig, weil es rassistischen Terror immer noch gibt. „Es spielt keine Rolle wie viele Jahrzehnte das her ist, die Ideologie gibt es ja immer noch und deswegen spielen die Taten auch immer noch eine Rolle. Und ja, Gedenken ist schwer! Gedenken tut es auch mal gut, wenn sich da viele Leute zusammensetzen und auch mal nicht einer Meinung sind, diskutieren und sich dann viele Dinge gemeinsam überlegen. Wenn man das tatsächlich möchte, gibt es da ganz viele Möglichkeiten!“, so Jonas Lendl.
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz