“It is important that we listen and hear the voices of the people affected. We need to be asked: Why to who and when we are remembering!” Talya Feldman sitzt in ihrer Wohnung und blickt ernst in die Kamera am oberen Bildschirmrand ihres Computers. Durch den Monitor spricht sie zu einem Saal gefüllt mit Künstler*innen, Journalist*innen und Kunstinteressierten. In einem anderen digitalen Fenster ist Ibrahim Arslan zu erkennen. Die beiden jungen Menschen kennen sich noch nicht lange, aber sie eint ein Schicksal. Beide wurden in Deutschland Opfer eines rassistischen Anschlages. Beide haben überlebt. Und beide kämpfen nun um das Recht, gehört und gesehen zu werden.
Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Symposion Urbanum findet vom 22. bis zum 24. Oktober im historischen Rathaussaal und im Neuen Museum in Nürnberg eine internationale Tagung unter dem Motto Public Art: Das Recht auf Erinnern und die Realität der Städte statt. Talya Feldmann und Ibrahim Arslan nehmen virtuell teil und schildern den Teilnehmer*innen ihre Erfahrungen mit der Gewalt nach der Gewalt.
2019 überlebte Talya Feldmann den antisemitischen und rassistischen Anschlag in Halle. Nach dem Angriff auf die Synagoge hörte der Kampf für sie nicht auf. Wie auch Ibrahim Arslan, beschreibt sie das mangelnde Interesse großer Institutionen, die Erinnerungen und Gedanken der Überlebenden in die Aufarbeitung der Fälle mit einzubeziehen. „Betroffene stellen oft fest, dass sie sich ihr Gedenken hart erkämpfen müssen“, erklärt Ibrahim Arslan. Diese Kämpfe betreffen vor allem physische Räume. Ob die Umbenennung von Straßennamen oder die Errichtung von Denkmälern - oft würde man die Opfer und deren Familien und Freund*innen nicht ausreichend beachten. „Das Problem ist, wenn wir Betroffene nicht miteinbeziehen, werden sie sich distanzieren und das darf nicht passieren!“, so Arslan. Außerdem sei das Gedenken der Opfer ein stetig andauernder Prozess, fügt Talya Feldmann hinzu: „Remembrance happens in the past, present and future and is not being done by building a monument!”
Wir Sind Hier heißt deshalb das neue Projekt der in den USA geborenen Künstlerin, die derzeit an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg studiert. Sie möchte damit einen digitalen Ort zum Erinnern und Gedenken an die Opfer rechter Gewalt schaffen. „It is a solidaric place and a place for remembering“, beschreibt Talya Feldmann ihre Arbeit. Der digitale Gedenkort listet die Namen aller Menschen auf, die in Deutschland rechter Gewalt zum Opfer gefallen sind. Karten mit eingezeichneten Orten zeigen ein wachsendes Netzwerk zwischen Überlebenden, Familien der Opfer und Initiativen.
Ibrahim Arslan wurde 1992 Opfer der rassistischen Brandanschläge von Mölln. Seine Großmutter Bahide Arslan, seine Schwester Yeliz Arslan und seine Cousine Ayse Yilmaz überlebten den Anschlag nicht. Seit einigen Jahren engagiert er sich in der Antirassismus-Arbeit. Er fordert eine „neue Gedenkkultur auf Augenhöhe“. Dazu benötige man jedoch erstmal eine Gesellschaft, die zuhören kann: „Denn es gibt genug, die sprechen wollen.“ Es müsse eine Institution geben, in der sich Betroffene gemeinsam vernetzen können und in der sie mit einbezogen werden. „Die Institutionen müssen akzeptieren, dass sie sich hinter und neben die Betroffenen stellen dürfen, aber niemals vor sie“, sagt er mit fester Stimme. Während er spricht, nickt Talya Feldmann zustimmend und geht in ihrem Schlussstatement noch weiter: „We need a complete new framing of what it is to be a victim in society.”
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz
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