Heutzutage sind Neuverfilmungen der nationalsozialistischen Vergangenheit eine zeitgeschichtliche Aufarbeitung der Geschehnisse mit einem hohen Maß an Storytelling. Doch die Einordnung von Filmen, die zu der Zeit der Nazis entstanden sind, fällt um einiges schwerer aus. Bis heute stark umstritten ist Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ von 1935, der die Reichsparteitage des Vorjahrs in Nürnberg abbildet. Bis zu ihrem Ableben im Jahr 2003 betonte die Regisseurin, es handle sich um einen reinen Dokumentarfilm. Während Hitlers Anhänger*innen die aufstrebende Berlinerin als Genie der Filmkunst betrachteten, wurden die Stimmen von Kritiker*innen lauter, „Triumph des Willens“ sei ein arglistiges Werk nationalsozialistischer Propaganda. So viel ist sicher: Die dargestellten Szenen und das Symbol des Reichsparteitagsgeländes, die Riefenstahl im zweiten Streifen ihres Dreiteilers präsentiert, sind seit jeher in unzähligen Dokumentationen als standardisiertes Emblem wiederzufinden.
Leni Riefenstahl habe von Hitler persönlich den Auftrag erhalten, die Reichsparteitage in Nürnberg zu dokumentieren. Experten sprechen von einer gegenseitigen Bewunderung, die die Schauspielerin und der Machthaber verspürten und einem Größenwahn, den sie beide teilten. „Ich denke, Hitler hat in Riefenstahl eine Persönlichkeit gesehen, die in der Lage war, seine Vorstellungen von der Selbstinszenierung in die großen Massen hineinzutragen […] und in bewegte Bilder zu transportieren.“, so der Historiker Dr. Jochen Böhler in der ARTE-Dokumentation „Leni Riefenstahl – Das Ende eines Mythos“. In der Tat beansprucht Hitler als Protagonist im kameratechnisch hoch modernisierten „Triumph des Willens“ etwa ein Drittel der Filmbilder und zwei Drittel der Gesamtredezeit.
Vielfach diskutiert wurde, ob die Parteitage nur für Riefenstahls Kamera derartig pompös gestaltet wurden – wie sich auch an der Ausschmückung des Reichsparteitagsgelände im Jahr 1934 festmachen lassen könnte: Feierliche Girlanden und drei große Hakenkreuzflaggen zieren die Steinfassaden am Zeppelinfeld, welches von abertausenden NS-Anhänger*innen gefüllt ist, die ihren „Führer“ mit tobenden Applaus und Zurufen empfangen. In der Tat sollen auch die folgenden Parteitage in dieser Dimension vonstatten gegangen sein, wobei sicher ist, dass die Abläufe, die in „Triumph des Willens“ zu sehen sind, in Absprache mit Leni Riefenstahl entstanden sind und das Bild des Reichsparteitagsgeländes bis heute maßgeblich mitprägen.
Auch im Fall des Riefenstahl-Klassikers werden methodische Fragen aufgeworfen, die sich über die Filmsprache häufig ergeben und einen interessanten Ansatz bieten können auf die Frage, ob es sich nun um einen Dokumentarstreifen oder klare Propaganda handelt. Fundament folgender Erklärung ist Vilem Flussers Analyse des Realitätsbezugs in Filmen, in der Vorstellung und Darstellung differenziert wird: „Bei der Darstellung wird – wenn auch nur mittelbar, nämlich mittels eines Films – die Wirklichkeit empfangen. Bei der Vorstellung vermittelt der Film nicht die Wirklichkeit, sondern eine Fiktion, welche auf die Wirklichkeit deutet. Dieser Unterschied lässt sich auch folgendermaßen formulieren: Bei der Darstellung kommt die Wirklichkeit zum Vorschein bei der Vorstellung hingegen kommen Symbole zum Vorschein, welche die Wirklichkeit nur vertreten.“
Aufgrund, dass die eigene Wahrheit eine Interpretation der persönlichen und subjektiven Wahrnehmung ist, scheint auch eine objektive Abbildung nahezu unmöglich.
„Ich möchte Dinge machen, die anderen Freude bereiten und um diesen Effekt zu erreichen, muss ich die Realität in meinen Aufnahmen überhöhen – das heißt stilisieren, […] dass ich alles in meinen Bildern weglasse, was nicht wichtig ist […] und das Wesentliche zeigen, was ich sagen möchte.“, so Leni Riefenstahl auf der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2000.
Eine Antwort auf den Diskurspunkt, ob „Triumph des Willens“ zur Dokumentarspalte oder zur propagandistischen Machart zählt, lässt sich pauschal nicht darlegen. Es ist eine Frage der Sichtweise, die sich aus der jeweiligen Ideologie ergibt, die für das Individuum selbst die Realität abbildet. Im Fall Leni Riefenstahl interpretiert, könnten die Feierlichkeiten um die Nürnberger Reichsparteitage für die Regisseurin einen besonderen Auszug des damaligen Ist-Zustandes dargestellt haben, den sie durch ihre Augen zu dokumentieren versuchte. Doch die letztendliche Wahrnehmung und das daraus resultierende Hinterfragen liegt nicht mehr im Entscheidungsrahmen des*der Künstler*in.
Um auf die heutige Auseinandersetzung zum Umgang mit dem Ehemaligen Reichsparteitagsgelände Bezug zu nehmen, kann dieser Ansatz einen neuartigen Aspekt einbringen: Zwar kann es bezüglich der Wirkung und Botschaft richtungsgebend sein, wie und auf welche Weise das historische Gelände erhalten wird oder nicht. Doch unabhängig davon bleibt es für manche das reine Symbol von Hitlers Größenwahn, für einige ist es ein zeitgeschichtliches und lehrendes Gut und wiederum andere verbinden damit den Ort, an dem Kulturveranstaltungen wie „Rock im Park“ oder das „Klassik Open Air“ stattfinden.
Literatur- und Quellenverzeichnis:
Martin Loiperdinger: Rituale der Mobilmachung: Der Parteitagsfilm „Triumph des Willens“ von Leni Riefenstahl, Lecke + Budrich, München 1987
Diplomarbeit von Sandra Kohle: Der dokumentarische Propagandafilm im Nationalsozialismus, Innsbruck 2015, https://diglib.uibk.ac.at/ulbtirolhs/download/pdf/887679?originalFilename=true, zuletzt aufgerufen am 29.01.2022
Artikel vom 23.08.2011: https://www.nordbayern.de/region/nuernberg/riefenstahl-pragte-das-bild-von-nurnberg-1.1454409, zuletzt aufgerufen am 29.01.2022
Dokumentation von ARTE: Leni Riefenstahl – das Ende eines Mythos, https://www.youtube.com/watch?v=sPnvj8evGGI, zuletzt aufgerufen am 29.01.2022
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz
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