„Dass eine meiner ersten Lesungen von Hubschrauberlärm begleitet wird, hätte ich auch nicht gedacht“, beginnt die Autorin. Wegen eines parallel stattfindendem Club-Spiels ist die Geräuschkulisse etwas lauter als eigentlich gewünscht, doch davon lässt sich die Lesende nicht stören.
Yvonne Richter ist nicht nur Autorin, sondern auch Illustratorin, so stellt sie sich dem Publikum vor. Sie hat bereits Kinderbücher veröffentlicht, das Manuskript aus dem sie am Freitag gelesen hat, wird ihr erster Roman für Erwachsene.
Dieser handelt von ihrer eigenen Familiengeschichte: Der Großvater war Oberleutnant und "Mitglied der SA" (Sturmabteilung = Kampforganisation der NSDAP Anmerkung d. Redaktion), das findet Richter heraus, als sie dessen Tagebücher und die ihres eigenen Vaters findet. Zuerst schreckte sie vor der großen Aufgabe der Aufarbeitung zurück, dann stellte sie sich ihr doch und nahm die Biografie ihrer Verwandten zur Grundlage für ihren historischen Roman. Auf dem Weg zum fertigen Manuskript musste sie sich nicht nur der dunklen Vergangenheit ihrer Vorfahren stellen, zusätzlich musste sie weitere Hürden bewältigen: Die Tagebücher des Großvaters waren in Sütterlin geschrieben, noch dazu in einer unleserlichen Handschrift. Diese Worte musste Richter zuerst entziffern, bevor sie feststellen konnte, dass die Aufzeichnungen nicht nur das erste Wort oder den ersten Schritt ihres eigenen Vaters umfassten, sondern auch die Ideologie dessen Erzeugers offenbarten.
Georg, so nennt sie den Großvater in ihrem Buch, dokumentiert ab 1933 voller Stolz seine nationalsozialistische Wahlentscheidung und später dann den Eintritt in die Partei und sogar die "SA". Aber auch familiär tun sich Abgründe auf, bei deren Vorstellung das Publikum der Lesung sichtlich schaudert: Georg missbraucht seine Frau, schlägt den Sohn und dessen Mutter wiederum missbraucht ihn. In den Tagebüchern von Richters eigenem Vater findet sie deshalb viel Schmerz und den Ausdruck seiner dunklen Psyche. Diese Notizen werden dann zum Hintergrund für Roberts Figur im Buch.
Diese Details der eigenen Familiengeschichte wurden der Autorin erst beim Aufarbeiten der Tagebücher bekannt, die sie vor ungefähr zwei Jahren fand.
Der Grund, warum sie es auf sich nahm, sich auf dieser Ebene damit auseinanderzusetzen, war auch, um der nächsten Generation aufzuzeigen, dass es manchmal wichtig ist, auch die eigene Familiengeschichte zu hinterfragen und sich nicht davor zu scheuen, diese auch transparent zu machen. Richter möchte darlegen, wie leicht es geschehen kann, dass auch Menschen aus der eigenen Familie einer Ideologie verfallen.
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz
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