Abb 1: Siegreicher Wettbewerbsentwurf von Franz Reichel für die Trabantenstadt Langwasser auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände, 1956
Das Areal des heutigen Stadtteils Langwasser hat bis heute einiges durchgemacht und wurde dabei zu einem der wichtigsten Orte deutscher Geschichte der letzten 100 Jahre. Das wird aber gerne vergessen oder übersehen, da man heute nicht mehr viel davon sehen kann, doch mehr als die Hälfte des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes liegt hier unter Neubauten verborgen. Was ist also in der Geschichte passiert das Langwasser zu dem wurde, wie wir es heute kennen.
Anfang des 20. Jahrhunderts erstreckte sich noch der Nürnberger Reichswald über das Areal was heute der Stadtteil Langwasser ist. Zur Zeit der Weimarer Republik wurde er als Schießplatz der bayerischen Armee verwendet, ehe es nach verehrenden Waldbränden Anfang der 1920er Jahre von Arbeitslosen als Ackerfläche für die notleidende Nürnberger Bevölkerung genutzt wurde.
Baulich interessant wurde es ab 1926 mit dem sogenannten Jansen-Plan, einem Generalbebauungsplan der erstmals auch Pläne für eine Stadterweiterung im Süden Nürnbergs sah. Eine Arbeitersiedlung sollte es werden. Bürokratie hier und da, ein Jahr nach dem die Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Nürnberg die 600 Hektar ihr Eigen nennen konnte, beschlagnahmte es die NSDAP, um verschiedene Anlagen und Lager für die Reichsparteitage zu bauen.
Durch den Zweckverband Reichsparteitagsgelände wurde zu der Zeit das gesamte Areal infrastrukturell erschlossen. Man baute ein funktionierendes Kanalsystem, asphaltierte Straßen, Schloss das Lager an das Stromnetz an und begann auch mit dem Bau des Bahnhof Märzfeld, da der Weg vom Bahnhof Dutzenteich doch sehr weit war. Alles in allem war sowohl die Organisation als auch die Technik dieses Mamut Projekts ausgeklügelt genug, um Hunderttausende von Menschen versorgen zu können.
Allein um die 100.000 Menschen fanden im SA-Zeltlager zwischen den heutigen Straßen Gleiwitzer, Liegnitzer und Glogauer Straße damals Platz. Dazu gab es je zwölf große Versorgungsbaracken und in der Mitte am Horst-Wessel-Platz einen Wachturm aus Holz sowie die große hufeisenförmige Kommandobaracke. Außerdem befanden sich dort auch die Lager der Hitler-Jugend, des Reichsarbeitsdienstes und des Nationalsozialistischen Kraftfahrt-Korps. Das SS Lager war im Bereich des heutigen Industriegebietes Altenfurt und in einem Waldgebiet entlang der Regensburger Straße sollte ein Lager für Politische Leiter entstehen, das aber nie fertiggestellt wurde.
1938 fand in Nürnberg der letzte Reichsparteitag der NSDAP statt, da mit Beginn des Krieges, der für 1939 geplante Termin abgesagt worden war. Die Lager bestanden allerdings weiterhin. So wurden die Zeltstädte im südlichen Areal zu einem Internierungslager für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter umfunktioniert und teilweise auch als Zwischenstation für die Deportation fränkischer Juden genutzt. Nürnberg und vor allem Langwasser wurden hier zum Schauplatz nationalsozialistischer Gewalt und noch heute zeugen Massengräber auf dem Nürnberger Südfriedhof davon.
Mitte April 1945 befreiten amerikanische Truppen das Kriegsgefangenenlager und fanden etliche halbfertige Riesenbauten und viele ziemlich neu wirkende Baracken vor. Auf einem Teil des Geländes brachten sie ehemalige Fremdarbeiter, sogenannte Displaced Persons (DP`s) unter. Da es sich dabei hauptsächlich um Letten und Esten handelte, nannte man es Valka-Lager nach der lettisch-estnischen Grenzstadt Valka, die durch die neue Grenzziehung nach dem Ersten Weltkrieg in zweit Teile getrennt worden war. Nach einigen Verwaltungswechseln und der eigentlich offiziellen Auflösung 1949 viel das Lager unter die Verantwortung deutscher Flüchtlingsbehörden. Auf Anweisung der Besatzungsbehörden wurden hier neben wenigen verbliebenen DP’s auch Flüchtlinge aus 28 Nationen aber vor allem aus den Ostblockstaaten aufgenommen.
Im März 1954 wurde das Valka-Lager zum „Bundessammellager für Ausländer“. Nürnberg versuchte unterdessen immer wieder erfolglos das Lager aufzulösen. Bis 1957 wurden dort insgesamt 7.500 Asylanträge gestellt und doch war für über 3.000 Personen das Lager immer noch ihr zuhause, weil sie sich von dort die Auswanderung nach Übersee erhofften. 1959 zog das "Bundessammellager für Ausländer" schließlich nach Zirndorf um. 1960 wurde das Lager in Nürnberg endgültig geschlossen und die Bundesdienststelle, mit damals etwa 50 Mitarbeitern, wurde kurz darauf auch nach Zirndorf verlegt.
Der Zweite Weltkrieg hatte in Nürnberg seine Spuren hinterlassen, nur knapp 11% der Wohnungen waren unzerstört geblieben und so kam es zu einem erheblichen Wohnungsmangel. Neben dem Wiederaufbau der Altstadt und schwer zugänglicher Gebiete stellte Langwasser die größte Städtebauliche Herausforderung dar. Die ersten Wohnsiedlungen entstanden um 1950 wodurch viele deutsche Vertriebene, hauptsächlich aus dem Sudetenland und Schlesien, in Langwasser einen neue Heimat fanden. Auch für die Südhälfte also dem Platz des ehemaligen Lagergeländes gab es bald erste Bauentwürfe, da das Areal bereits erschlossen war wirkte dieser Schritt naheliegend. Doch Jahrelange Verhandlungen zwischen der Wohnungsbaugesellschaft und der Stadt Nürnberg mit dem Bayerischen Staat über die rechtskräftige Übereignung der Fläche kosteten Zeit, sodass der Spatenstich erst 1957 erfolgte, und erst ab September 1960 im großen Stil gebaut werden konnte.
Dazu hatte man bereits fünf Jahre zuvor einen Ideenwettbewerb für Architekten ins Leben gerufen die einen Gesamtbebauungsplan für das gesamte 600 Hektar große Gelände bieten sollten. Das Motto „Wohnen im Grünen“
Heute leben rund 35.000 Menschen im jüngsten und auch kulturell vielfältigsten Stadtteil Nürnbergs. Wirklich sehen kann man von seiner „Lagervergangenheit“ nur wenig, die meisten baulichen Überreste des Reichsparteitagsgeländes in Langwasser standen dem neuen Wohngebiet einfach im Weg.
Erst in der jüngeren Vergangenheit wurde zum Beispiel durch Infotafeln, Ausstellungen oder Stadteilführungen die Geschichte wieder sichtbarer gemacht. Und die spiegelt zum einen eben die Grausamkeit des Nationalsozialismus wider aber auch den Neuanfang einiger Generationen von Langwasserianern.
Vortrag „Langwasser im Schatten des Reichsparteitagsgeländes“ im Rahmen der International Public Summer School: https://www.youtube.com/watch?v=O8lMpq1K3Tg
https://museen.nuernberg.de/dokuzentrum/
https://m.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/246940/zirndorf
Abbildung 1: "Siegreicher Wettbewerbsentwurf von Franz Reichel für die Trabantenstadt Langwasser auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände, 1956" aus "Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg" von Alexander Schmidt, Sandberg Verlag Nürnberg, 2017, Seite 224
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz
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