Ein Gespräch mit Peter Wendl von der Akademie der Bildenden Künste über die Entstehungsgeschichte der International Public Summer School und die organisatorischen Hürden, die es auf dem Weg zur Realisierung zu überwinden galt.
Wie würdest du einem Außenstehenden in deinen eigenen Worten das gesamte Projekt „International Public Summer School“ kurz und knapp beschreiben?
P.Wendl: „Die Summer School ist ein Versuch, auf einer möglichst niederschwelligen Ebene ein bürgerschaftliches Interesse für das Thema Erinnerungskultur auf dem Reichsparteitagsgelände zu wecken. Unserer Meinung nach ist das ganze Thema viel zu elitär verhandelt. Es gibt unheimlich viel Diskurs auf Seiten der Wissenschaft über die Frage, wie man mit dem Gelände umgehen könnte. Allerdings wird die Bevölkerung, die viel dazu zu sagen hätte und sich enorm für das Thema interessiert, wenig bis gar nicht gefragt. Viele Mitbürger*innen unserer Postmigrationsgesellschaft haben hierzu sehr persönliche Bezüge. Diese müssen unbedingt mehr Gehör finden. Unser Versuch bestand darin, einen solchen Dialog auf dem Gelände zu beginnen und mit den Menschen über das Gelände direkt ins Gespräch zu kommen.“
Das ist euch aus meiner Sicht auch sehr gut gelungen. Es handelt sich bei dem Ganzen um ein gemeinsames Projekt von der AdBK Nürnberg, der TU Wien und der TH Nürnberg. Von wem stammt die Ursprungsidee und wie kam es zu dem Zusammenschluss genau dieser drei Institutionen?
P.Wendl: „Wie so oft bei solchen Projekten lässt sich die Autorenschaft nicht eindeutig identifizieren. Wir entwickelten die Summer School als eine gemeinsame Idee, die aber natürlich eine Entstehungsgeschichte hat, so würde ich es mal sagen. Das liegt daran, dass wir uns alle persönlich sehr stark mit dem Reichsparteitagsgelände verbunden fühlen und uns schon seit mindestens 15 Jahren damit beschäftigen. Seit einigen Jahren halten wir auf dem Gelände Workshops mit Studierenden ab und haben relativ schnell bemerkt, dass dieses Angebot gut angenommen wird und wir dies weiterführen wollen. Vor Ort in immer neuen Konstellationen zu arbeiten, ist die ideale Form, sich dem Thema zu nähern und vor allem das Thema in die breite Bevölkerung zu bringen. Mit dem Regenbogenpräludium hat sich der Diskurs um das Gelände nochmal viel stärker in die Öffentlichkeit gedrängt. Da sahen wir uns einfach genötigt, oder auch interessiert und ermutigt, da weiterzumachen. Eine große öffentliche Summer School war nach mehreren kleinen Maßnahmen der natürliche nächste Schritt und die TH Nürnberg als Partneruniversität mit ins Boot zu holen, nur konsequent.“
Dann war es ja so, dass sowohl eure Studierenden der verschiedenen Hochschulen, als auch viele andere verschiedene Leute an dem Projekt beteiligt waren. Wie verlief die Kommunikation untereinander? Von Anfang an reibungslos und organisiert oder gab es da auch Schwierigkeiten?
P.Wendl: „Jeder, der schon mal eine größere Veranstaltung organisiert hat, weiß wie intensiv und kompliziert so ein Prozess ist. Das ist normal. Das ganze Projekt war im Prinzip ein großer Fund an Selbstorganisation. Das ist natürlich anstrengend, weil das mit seiner Offenheit mit sich bringt, dass man nicht genau weiß, wo das alles hinführt. Gleichzeitig wollten wir das dezidiert, weil es auch darum ging, dass man voneinander lernt. In der Kommunikation zwischen den Projektbeteiligten würde ich nicht von Schwierigkeiten sprechen. Eher von einem sehr intensiven Austausch, von dem wirklich alle was mitgenommen haben. Also auch wir, die sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigen, haben enorm viel dazu gelernt. Das war unser Anliegen und dazu muss man bereit sein.“
Das ganze Programm war ja unglaublich vielfältig und so auch die Menschen, die da mitgewirkt haben. Nach welchen Kriterien habt ihr die Mitwirkenden der Veranstaltung ausgewählt? Und bei welchen Beteiligten war es euch besonders wichtig, sie dabei zu haben?
P.Wendl: „Dadurch, dass wir uns bereits lange mit dem Thema beschäftigen, konnten wir zunächst auf unsere Netzwerke zurückgreifen. Diese haben wir über unsere Recherchen und Vorbereitungen zur Summer School natürlich erweitert. Das Thema Reichsparteitagsgelände ist ja nicht neu, im Gegenteil: Viele Menschen bemühen sich seit geraumer Zeit sehr intensiv um das Thema der Erinnerungskultur in Nürnberg. Erschreckend ist allerdings, dass diese wissenschaftliche Kompetenz in Nürnberg in der Regel kein Gehört findet - auch weil sie mitunter unbequem ist und nicht unbedingt auf Linie mit den Planungen der Stadt Nürnberg. Natürlich hatten wir erwartet, dass unser „Line-Up“ nicht bei allen lokalen Akteur*innen auf Gegenliebe stößt. Unsere Erwartungen haben sich sehr bestätigt. Sowohl von institutioneller als auch aus der subkulturellen Szene schlug uns Kritik entgegen. Uns war es wichtig die Stimmen derer, die sich mit dem Thema seit langem befassen und daher tiefe Sachkenntnis mitbringen, zu hören. Gleichzeitig war es uns wichtig, neben den externen Expert*innen sowohl die lokale, subkulturelle Szene als auch die Akteur*innen der städtischen und kulturellen Institutionen mit dabei zu haben. Wir wollten im Prinzip alle am Tisch haben, um durchaus kontroverse Haltungen austauschen und vernünftig diskutieren zu können.“
Welcher Programmpunkt war für dich einer der Wichtigsten oder im Nachhinein der nachhaltig Erfolgreichste?
P.Wendl: „Ich glaube tatsächlich, dass wir einige Programmpunkte, im Vorfeld stark unterschätzt, beziehungsweise deren Wichtigkeit nicht so stark auf dem Schirm hatten. Das betrifft vor allem die Ausstellung selbst."
Die Ausstellung auf der Spiegelwiese?
P.Wendl: „Ja genau. Erst nach der Realisierung haben wir bemerkt, wie gut die Ausstellung auf der Wiese funktioniert. Das hätten wir nicht gedacht. Im Nachhinein betrachtet war die Wiese perfekt, da dort enorm viele Menschen vorbei laufen. Wir hatten täglich zwei bis dreihundert Menschen auf der Ausstellung, die zumindest mal stehen blieben und sich die Sachen angeschaut haben. Mit nicht Wenigen davon kamen wir ins Gespräch. Wie man sich vorstellen kann war vom interessanten Austausch über persönliche Geschichten bis hin zu erschreckenden, abgründigen Positionierungen alles dabei. Das war lehrreich. Zudem lag unser großes Anliegen ja darin, ein niederschwelliges Angebot zu schaffen – für Menschen, die sich mit dem Thema beschäftigen möchten. Das hat wie gesagt sehr gut funktioniert. Daher war die Ausstellung sicher ein ganz zentrales Element.“
Ich habe die Ausstellung auch selbst gesehen und kann das eigentlich nur bestätigen, sie war ein Blickfang, der dazu verleitet hat, stehen zu bleiben und sich das Ganze näher anzugucken. In Bezug auf die Organisation meintest du vorhin schon, dass ihr auf Kritik und Hürden gestoßen seid. Um was genau handelte es sich dabei?
P.Wendl: „Was man wirklich sagen kann ist, dass das Projekt und vor allem die Anlage des Projektes als offene, dialogische Plattform, die sich in gewisser Weise inhaltlich, personell und methodisch selbst organisiert, bei vielen Menschen und vor allem bei vielen Institutionen für Fragezeichen gesorgt hat. Die konnten sich weder vorstellen, was wir da machen wollen, noch dass das klappen würde. Das liegt glaube ich in der Natur der Sache. Institutionen, egal ob Hochschulen, Kommunen oder Geldgeber sind geleitet von Regelhaftigkeit und gewohnt, in festen beziehungsweise klaren Strukturen zu denken. So eine offene Hochschulkooperation mit drei festen Partnerhochschulen und mindestens vier weiteren Hochschulbeiteiligungen – ich weiß es selbst nicht so genau wie viele letztlich dabei waren – ist als solche, zumindest für Nürnberg, schon sehr ungewöhnlich. Das hat auf institutioneller Seite tatsächlich für eine Art Angstreflex gesorgt, glaube ich."
Woran denkst du liegt das?
P.Wendl: „Künstlerische und wissenschaftliche Forschung ist für uns eine selbstverständliche Praxis, der wir täglich nachgehen. Außenstehende allerdings können sich unter Feldforschung oder künstlerischer Intervention nichts vorstellen. Offensichtlich konnten sich also einige keinen Reim darauf machen, was wir da vorhaben, obwohl das alles nicht unbedingt ungewöhnlich war. Die Vorbehalte waren also nicht zwangsläufig böse gemeint, auch wenn wir stellenweise über die Unoffenheit und Unflexibilität vieler doch sehr überrascht waren. Das hat dafür gesorgt, dass wir in einigen Institutionen Probleme hatten. Nicht an der AdBK zum Beispiel, da diese Art des Arbeitens dort Gang und Gäbe ist. An einer Technischen Hochschule weht in Bezug auf Reglements und Konventionen allerdings ein ganz anderer, manchmal bizarrer Wind.“
Mit welchen Institutionen gab es diese Probleme noch?
P.Wendl: „Wir haben mit Vorbehalten einiger städtischer Institutionen unserem Projekt gegenüber ähnliche Erfahrungen gemacht, wie viele andere Initiativen von uns.“
Wieso stellen sie sich denn da so quer?
P.Wendl: „Je mehr Akteur*innen in einen Diskursraum drängen, desto bedrängter fühlen sich diejenigen, die schon da sind. Da die Stadt Nürnberg über enorm viel diskursive Macht in Bezug auf das Gelände verfügt, wird sie alles daran setzen, ihren Status als Platzhirsch nicht aufgeben zu müssen. Eine Strategie ist sicherlich, den Diskursraum „Ehemaliges Reichsparteitagsgelände“ mit allen Mitteln selbst zu gestalten. Hinzu kommt möglicherweise, dass man sich vor allem bei einem so sensiblen Thema in der Verantwortung sieht, dafür zu sorgen, dass andere keine Fehler machen. Diese Haltung ist unserer Meinung nach falsch. Ich denke, vor allem dieses Thema muss taubfrei und offen besprochen werden dürfen. Und man muss auch Fehler machen können. Wir benötigen eine Fehlerkultur, aus der wir lernen können. Das heißt, dass man Dinge wagen und zulassen muss, die auch mal scheitern können. Aber im Zweifel auch etwas hervorbringen, das man vielleicht noch nicht hatte. Dafür fehlt offensichtlich der Mut und die Bereitschaft. Im Städtebau zeigt sich das in der Regel daran, dass grundsätzlich davon ausgegangen wird, alle Probleme mit baulichen Maßnahmen regeln zu können. Auch das „Geländeproblem“ versucht man vorwiegend baulich zu lösen. Die Zeppelintribüne ist zwar in einem desolaten Zustand, die eigentlichen Probleme in Bezug auf den Nationalsozialismus sind aber nicht baulicher Natur. Trittfestmachung, Künstlerateliers, Interimsbau und so weiter dienen höchstens dazu, jeden weiteren Diskurs über das Thema im Keim zu ersticken. Ganz nach der Devise „Gebäude gebaut, Problem gelöst“. Dabei wissen wir, dass diese vermessene Architektenformel noch nie funktioniert hat."
Hast du ein konkretes Beispiel für mich, welchen Situationen ihr euch stellen musstet?
P.Wendl: „Naja, da gab es viele. Wir hatten Fördergelder beantragt und diese glücklicherweise genehmigt bekommen. Hierfür müssen natürlich Anträge und Konzepte verfasst und offengelegt werden, was man mit dem Geld vor hat. Irgendwann beklagte sich einer der Förderer darüber, dass wir auf dem Gelände künstlerisch arbeiten, also dort auch malen und Lesungen abhalten wollen. Auf einer öffentlichen Wiese, die wir vertraglich mieten. Abgesehen davon, dass wir das natürlich in unseren Anträgen formuliert hatten, wunderten wir uns, dass es verboten sein soll, im öffentlich Raum zu lesen. Erst im Nachhinein dämmerte uns, dass sich einige Personen – die leider zu den Entscheider*innen gehörten – keinen Reim darauf machen konnten, was wir da tun. Sie sahen schlicht keinen Sinn darin, auf dem Gelände zu arbeiten, ohne handfeste Lösungen vorzuschlagen. Da von außen betrachtet keine einfache Erklärung dafür vorlag, was wir da tun, waren Einige geneigt, unser Vorhaben als verdächtig einzustufen, und haben versucht unser Handeln proaktiv zu steuern. Womöglich war das nicht einmal böse gemeint. Einige waren auf Grund ihrer professionellen Verbiegung einfach nicht offen."
Wie ging das dann weiter?
P.Wendl: „Es folgten Treffen mit Hochschulanwälten, die uns verbieten wollten, abseits von der von uns gemieteten Wiese mit Studierenden etwas zu tun, zum Beispiel gemeinsam mit Studierenden und anderen Teilnehmer*innen der Summer School auf dem Gelände spazieren zu gehen, geschweige denn zu arbeiten oder gar Feldforschung zu betreiben. Das wurde uns verboten. Im öffentlichen Raum. Der Grund war, dass Sicherheitsbedenken dagegen sprechen würden, dass eine Hochschule die versicherungsrechtliche Verantwortung für Spazierengehen im öffentlichen Raum übernehmen könnte. Sicherheit ist im institutionellen Betrieb ein Totschlagargument geworden. Egal was wir heute tun oder unterlassen, immer können versicherungsrechtliche Bedenken angeführt werden. Eine Hochschule, die eine solche Haltung vertritt, erzieht ihre Studierenden nicht zur Emanzipation und politischen Willensbildung sondern zu Unmündigkeit. Einige Studierende wurden dazu genötigt, bei der Stadt formell korrekt gestellte Anträge für künstlerische Aktionen im öffentlichen Raum zurückzuziehen. Das muss man nicht weiter kommentieren. Jeder kann selbst darüber nachdenken, was das bedeutet. Mehrere solcher Situationen haben kurz vor Projektbeginn dafür gesorgt, dass wir die Summer School fast hätten absagen müssen. Im Fall der Spaziergänge, die einen Grundpfeiler unserer Vermittlungsarbeit während der Summer School gebildet haben, konnten wir das Problem glücklicher Weise dadurch lösen, dass wir alle Workshops und Lehrangebote, die nicht auf der gemieteten Wiese stattfanden, über unseren externen Partner BauLust e.V. anbieten konnten. Unsere Hauptveranstalterin hätte also nicht für verstauchte Knöchel und Blasen an den Füßen gerade stehen müssen.“
Wie würdest du das Ziel, dass ihr mit der Summer School verfolgt habt, definieren?
P.Wendl: „Wie gesagt, hatten wir erklärtermaßen nicht das Ziel, eine oder mehrere Lösungen für das sogenannte „Geländeproblem“ vorzuschlagen. Zunächst ging es darum, vor Ort zu sein und diskutieren zu können. Best Practice in Bezug auf die Frage, wie wir als Stadtgesellschaft mit dem Gelände umgehen sollten. Es ging auch nicht darum, die Summer School für uns zu machen. Wir wollten vielmehr überprüfen, ob das ein Modus sein könnte, mit dem man viele Menschen motivieren und für das Thema sensibilisieren kann. Das hat sich komplett eingelöst - sogar mehr als wir erhofft hatten. Außerdem hoffen wir, dass das ganze Projekt als Türöffner für Folgeprojekte fungieren kann. Um es für andere leichter zu machen, mit den ganzen bürokratischen und institutionellen Hürden und Vorbehalten umzugehen. Uns war zwar klar, dass die Realisierung nicht so einfach werden würde, hätten aber nicht gedacht, dass es so heftig wird. Insofern hoffen wir, dass es zukünftige Projekte leichter haben werden. Interessanterweise gibt es seit 20 Jahren vollmundige Diskussionen darüber, Kunst auf dem Gelände stattfinden zu lassen. Die Stadt hat es in dieser Zeit noch nicht geschafft, ihr Versprechen einzulösen. Vielmehr wurde es in mehreren Fällen gezielt verhindert. Freilich hat das viele Künstler*innen nicht davon abgehalten, trotzdem auf dem Gelände zu arbeiten - und zwar unangemeldet. Das ist gut. Der Regenbogen ist zwar sicher die populärste Kunstaktion, aber bei weitem nicht die Einzige. Trotzdem sind wir davon überzeugt, dass Subversion nicht das einzige Mittel sein sollte, dem Gelände zu begegnen. Auf der anderen Seite darf es nicht dazu kommen, dass jedes Engagement auf dem Gelände institutionell begrenzt wird. Auch das ist ein Reflex, der in Nürnberg oft zu beobachten ist. Unser Ziel war es also, einen Weg zwischen Subversion und Institution zu finden: Einen genehmigten Raum bereitzustellen, der eine möglichst offene und selbstorganisierte Beschäftigung mit dem Gelände ermöglicht.“
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz