Studierende besuchen die Universität, um Neues zu lernen, Zusammenhänge zu verstehen und Antworten auf die eigenen Fragen zu erhalten. Doch was entsteht aus einem Studiengang ohne klar definierte Ziele, mit einem Studiengangsleiter, der sein künstlerisches Schaffen selbst als „Unlesbar“ beschreibt? Mit dem neu-konzipierten Masterstudiengang Live Art Forms wagt der Künstler und Professor an der Akademie der bildenden Künste, Johannes Paul Raether, ein neues Konzept nach dem Grundsatz „each one teach one“.
Mit der internationalen Tagung Public Art: Das Recht auf Erinnern und die Realität der Städte bot die Stadt Nürnberg gemeinsam mit verschiedenen Institutionen und Kunstschaffenden vom 22. bis zum 24. Oktober einen Anlass, Kunst im Öffentlichen Raum zu diskutieren, in Frage zu stellen und Lösungen auf aktuelle Debatten um die Vergangenheit zu finden. Auch der Masterstudiengang, der ab 2. November an den Start gehen soll, stellt die Frage nach unterschiedlichen Öffentlichkeiten. „Es gibt keine fixierte Form, was Öffentlichkeit ist. Stattdessen werden wir gemeinsam im Laufe des Studiums eine Definition erarbeiten“, erklärt Johannes Paul Raether dem Publikum im Podiumsgespräch mit Kunstkritiker und Kurator Jörg Heiser.
Seine eigenen Erfahrungen mit verschiedenen Öffentlichkeiten sammelte er während seiner Arbeit als Performance Künstler. Er schuf konstruierte Identitäten, die an verschiedenen Orten im öffentlichen Raum forschen, lehren oder Geschichten erzählen. So tauchte das Wesen Transformella bereits in einem Ikea-Geschäft oder am Strand in Indien auf. Das Wesen Schwarmwesen fuhr hingegen auf dem Fahrrad durch New York City oder mit der Untergrundbahn durch Glasgow. „Dadurch, dass sich die Wesen neu einfügen, definieren sie den Raum neu“, erklärt der Künstler. Besonders im öffentlichen Raum vermische sich das Publikum stark, im Gegensatz zu einem abgegrenzten Raum wie etwa einem Museum. Auch reagieren die Menschen in Indien am Strand anders auf die Performance Art, als in einem Ikea-Markt. Auf die Frage, ob sich das Publikum vor den unbekannten Wesen ängstige, antwortet Raether, er würde sich wünschen, dass sich die Menschen zunächst fragen: „Was ist das?“, bevor sie sich direkt erschrecken. „Das Wort Unheimlich setzt voraus, dass die Menschen wissen, was sie erwartet. Da die Wesen aber unleserlich sind, können sie nicht gleichzeitig unheimlich sein“, argumentiert der Künstler.
In dem neuen Masterstudiengang erwartet ihn eine heterogene Gruppe aus Studierenden, die aus unterschiedlichen Studienschwerpunkten zusammengewürfelt sind. Auch deshalb wünscht er sich, dass die Student*innen viel voneinander lernen können. Die Kunstakademie bietet den Studierenden einen geschützten Raum, um sich - zunächst ohne den Druck der Öffentlichkeit - auszuprobieren. Johannes Paul Raether bedauert, dass er selbst in seinem Studium erst spät mit der Performance Kunst in Berührung gekommen ist. „Denn Performance ist meist unleserlicher und offener als Malerei“, erklärt er.
Dass Studierende, die sich mit Kunst im öffentlichen Raum auseinandersetzten, wertvoll sind, zeigte die International Public Summer School 2021 im vergangenen September. In verschiedenen Workshops und Tagungen stießen die Student*innen verschiedene Diskurse zum Umgang mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgebäude an. Mit dem Mammutprojekt hat die Stadt Nürnberg in den nächsten Jahren jede Menge Herausforderungen zu bewältigen. Hierbei können auch die jungen Student*Innen des neuen Studiengangs eine große Hilfe sein - sofern man ihnen bei der Planung und Umsetzung eine aktive Rolle zukommen lässt.
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz
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