René von Bodisco ist seit 22 Jahren als erster Aufnahmeleiter in Berlin tätig. Neben des Drehplans erstellt der gebürtige Mannheimer die Tagesdisposition, welche alle organisatorischen Aufgaben für den Ablauf einer Film- oder Fernsehproduktion umfasst. Herausforderung ist hierbei die Koordination aller beteiligten Abteilungen und beispielsweise nötiges Zusatzpersonal, Anliegen der Schauspieler und die Planung passender Drehorte innerhalb des Budgets zu vereinen. Unter anderem für große Streifen wie dem Dreiteiler „Unsere Mütter, Unsere Väter“, welche von der nationalsozialistischen Vergangenheit handeln. Von A bis Z begleitet René von Bodisco die Entwicklung eines Videoprojekts und kennt sich mit den Prozessen und Bedürfnissen dieser Branche bestens aus. Im folgenden Interview spricht der 48-Jährige über die Bedeutung von historischen Bauten für die Film- und Fernsehindustrie.
S. Bauer: Als Aufnahmeleiter sind Sie ebenfalls für die Drehorte zuständig. Fällt es also in Ihren Aufgabenbereich hinein, zu entscheiden, wo etwas am besten umgesetzt werden kann?
R. von Bodisco: Ja unter anderem, wobei für das Szenenbild besonders der „Location Scout“ als eigene Abteilung zuständig ist. Aber man arbeitet sehr eng zusammen, um sicherzugehen, dass alles funktioniert. Früher habe ich selber gescoutet – das waren meine Anfänge wie ich letztlich hier gelandet bin.
S. Bauer: Hat es Sie dabei bereits einmal nach Nürnberg geführt?
R. von Bodisco: Für die Fernsehserie „Der Überfall“ habe ich schon einmal in Nürnberg im ehemaligen Arbeitsamt am Frauentorgraben gedreht. Und momentan begleite ich „Die Wochenendrebellen“, ein Fußballfilm zusammen mit dem 1. FC Nürnberg, der ebenfalls in der Stadt gedreht wird.
S. Bauer: Hatten Sie berufstechnisch schon einen Bezug zum ehemaligen Reichsparteitagsgelände?
R. von Bodisco: Den ersten engeren Bezug hatte ich, als wir eben vor kurzem mit dem 1. FCN gedreht haben. Da habe ich das Gelände zum ersten Mal gesehen – die Chefin vom Fußballverein hat uns dorthin gebracht und meinte, Sie müsse uns das riesengroße Stadion unbedingt mal zeigen. Das ganze Team hat das Handy rausgeholt und Bilder gemacht. Es ist schon beeindruckend!
S. Bauer: Welche Rolle spielt es für die Film- und Fernsehbranche historische Bauten wie das Reichsparteitagsgelände zu erhalten?
R. von Bodisco: Eine sehr große Rolle. Als wir beispielsweise den Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ gemacht haben, haben wir in Berlin im ehemaligen SS-Hauptquartier gedreht. Das bleibt für mich unvergessen. Die schwarzen Marmorsäulen, der dunkle Marmorboden und das Treppenhaus, in dem Hakenkreuzflaggen aufgezogen wurden – es war, als ob du in die Zeit zurückgereist wärst und auf einmal um 1940 herum aufwachst. Deswegen ist es sehr wichtig solche Bauten zu haben, weil so etwas schlecht nachgestellt werden kann.
S. Bauer: Ist die Wirkung des Films verstärkt, wenn man auf echte Objekte als Kulissen zurückgreift?
R. von Bodisco: Ja, klar. Es wird zwar auch viel nachgebaut, aber Original-Kulissen werden für NS-Filme überwiegend genutzt. Zum einen wegen des Kostenpunkts und zum anderen, weil es authentisch ist. Einige Regisseure legen sehr viel Wert darauf an Original-Plätzen zu drehen.
S. Bauer: Wie bewusst ist in der Filmbranche der Umgang mit Bauten aus der NS-Zeit? Gibt es Regeln oder Ausnahmen?
R. von Bodisco: Regeln in Form von Genehmigungen. Du brauchst die Einwilligung, dass beispielsweise Hakenkreuzflaggen hoch gehängt werden dürfen.
S. Bauer: Gab es dabei schon einmal Probleme mit der jeweiligen Stadt?
R. von Bodisco: Nein, weil sie sich sicher sein können, dass keiner die Nazis verherrlichen würde. Davor schicken wir eine Inhaltsangabe zu oder teilweise auch Drehbuchseiten zum Reinlesen. Man will es sich mit der Stadt nicht verscherzen. Daher ist es letztlich einfach eine Genehmigung zu bekommen.
S. Bauer: Worauf achten Sie beim Dreh selbst, um die Nazis nicht zu verherrlichen?
R. von Bodisco: Das kommt immer auf den Inhalt des Films an. Aber grundsätzlich achten wir beispielsweise darauf, dass die Hakenkreuzflaggen nicht x-mal gezeigt werden. Ansonsten wird relativ „normal“ gedreht.
S. Bauer: Wie viele Filme werden in Originalkulissen gedreht?
R. von Bodisco: Ich würde zwischen 35 und 45 Prozent schätzen. Das ist natürlich auch davon abhängig, wie gut die Objekte oder Plätze noch instand sind.
S. Bauer: Stichwort Instandhaltung: Es wirkt sich also stark auf die Möglichkeiten der Filmumsetzung aus, wenn etwas offensichtlich zerfallen ist und dem ehemaligen Schauplatz nicht mehr wirklich ähnelt, richtig?
R. von Bodisco: Es kommt immer auf die Art des Gebäudes an – ein Riesengelände wie das in Nürnberg lässt sich wahrscheinlich schwerer erhalten als zum Beispiel das SS-Hauptquartier in Berlin. Für so ein Gelände braucht man viel Kohle schätze ich.
S. Bauer: Was würden Sie der Stadt Nürnberg raten, wie sie in Bezug auf den Erhalt des Reichsparteitagsgelände umgehen sollen – aus der Sicht der Filmbranche?
R. von Bodisco: Sie sollten eventuell in der Filmbranche mehr Werbung machen. Die meisten von unserem Team wussten gar nicht, dass es das Ding überhaupt noch so gibt. Eventuell nur Teile davon, aber nicht das gesamte Konstrukt. Man muss den Leuten zeigen, was man zu bieten hat.
S. Bauer: Der hohe Kostenpunkt könnte auch zum Teil gedeckt werden, wenn sich Filmgesellschaften finanziell dafür einsetzen, dass es erhalten bleibt.
R. von Bodisco: Das glaube ich nicht. Ich denke eher, dass die Filmwirtschaft nur darauf aufmerksam wird, dass man dort was umsetzen kann. Das gilt auch für die „Film-Commission“, die es in jedem großen Bundesland gibt. Die ist für die Locations dort zuständig und darüber können wir in den jeweiligen Städten den passenden Drehort finden.
S. Bauer: Also wurde Ihnen das Reichsparteitagsgelände noch nicht vorgeschlagen?
R. von Bodisco: Überhaupt nicht. Da das Ding den Größenwahnsinn von Hitler widerspiegelt, kann ich mir vorstellen, dass auch ein bisschen Abschreckung hinten dran hängt. Meiner Meinung nach, muss man den Leuten die Angst nehmen, indem man es anders nutzt und zeigt, was alles damit möglich ist.
S. Bauer: Sind Sie also der Meinung die Stadt weiß nicht so richtig, wie sie das Gebäude korrekt einbinden soll, ohne auf Gegenmeinung zu stoßen?
R. von Bodisco: Gegenmeinung wird man immer kriegen. Mich würde mal interessieren, ob das Reichsparteitagsgelände schon einmal verwendet wurde. Ich glaube, da traut sich irgendwie keiner so richtig ran.
S. Bauer: Mir ist spontan nur „Pilatus und andere“ aus den 70ern bekannt. Denken Sie dieses „Nicht-Herantrauen“ liegt an der Einstellung der Stadt oder der Filmbranche?
R. von Bodisco: Die Stadt müsste zeigen, dass etwas interessantes da ist. Also beispielsweise Bilder an die Location Scouts schicken. Es dauert dann ein bisschen bis es Fahrt aufnimmt, aber dann würden entsprechende Reaktionen kommen.
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz
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