Gürsoy Doğtaş, Ayşe Güleç, Ulf Aminde und ein Vertreter der Initiative Das Schweigen durchbrechen diskutieren über die Folgen der NSU-Verbrechen.
Rassistische Polizeiermittlungen, diskriminierende Berichterstattungen, gesellschaftliche Ausgrenzung – all das mussten die Angehörigen der NSU-Opfer in Folge der grausamen Taten erleiden. Diese sogenannte Gewalt nach der Gewalt wurde am Samstag, den 23. Oktober, in einem gleichnamigen Panel des Symposion Urbanum Nürnberg ausführlich diskutiert. Denn struktureller Rassismus scheint noch immer ein bestehendes Problem in unserer Gesellschaft zu sein.
In einem kurzen Einführungsvortrag gab Moderator und Kunstkritiker Gürsoy Doğtaş einen Überblick über die Hintergründe der tödlichen Attentate auf post-migrantische Kleinunternehmer. Die medialen Berichterstattungen nach den Anschlägen stigmatisierten die Opfer sowie ihre Angehörigen. So sollte etwa „die schwer durchdringbare Parallelwelt der Türken“ die vermeintlichen Täter*innen schützen. Nach jahrelanger Diskriminierung und ebenso rassistischen Ermittlungen setzten viele Hinterbliebene ihre letzte Hoffnung in die NSU-Prozesse. Doch auch diese brachten nicht die gewünschte Aufklärung. Im Vorfeld vernichtete Dokumente und die Nichtbeachtung bereits bestehender staatlicher Erkenntnisse rund um den nationalsozialistischen Untergrund, ließen viele Fragen offen. So ist auch bis heute unklar, wie die Opfer ausgewählt wurden. All das sei laut Doğtaş nach den Morden „ein weiterer Schlag ins Gesicht der Angehörigen“.
Für Florian, einen Vertreter der antifaschistischen Initiative Das Schweigen durchbrechen!, steht ebenso fest, dass „das Gericht nicht willens war, richtig aufzuklären und das Leid der Opfer miteinzubeziehen“. Daher ist es ihm nun umso wichtiger, den Hinterbliebenen eine Stimme zu geben. Denn von Staat und Behörden seien diese sowohl bei der Opferdarstellung als auch in Bezug auf das öffentliche Gedenken kaum einbezogen. Demnach sei beispielsweise ein falsches Todesdatum auf dem Mahnmal der Stadt Nürnberg erst im Nachhinein aufgefallen. Außerdem kritisiert Florian, dass die Gedenktafel nicht an einem zentralen Ort errichtet wurde und daher „kein sichtbares Zeichen im Stadtbild“ setze. Die mangelnde Aufklärung und Repräsentation ist für den Vertreter von Das Schweigen durchbrechen! eine weitere Form des Rassismus.
Die „systemische Gewalt im Umgang mit den Betroffenen durch die Medien und einem Großteil der Politik und Gesellschaft“ schockiert auch Ayşe Güleç. Als forschende Aktivistin beobachtet sie eine Struktur des Wegorientierens in der Gesellschaft, die sie als „weiße Unschuld“ bezeichnet. Ständige Rechtfertigungen und das Wegschieben der Verantwortung auf andere, signalisiert für Güleç eine Empathielosigkeit gegenüber den NSU-Opfern sowie Minderheiten im Allgemeinen.
Um diese Strukturen zu durchbrechen, gestaltete Ulf Aminde ein besonderes Mahnmal zur Erinnerung an die Kölner Bombenanschläge des NSU. Er entwarf das Konzept für ein virtuelles Haus, dessen Fundament in Sichtweite zum Tatort in der Keupstraße liegt. Mit Hilfe von Augmented Reality kann dieses zum Leben erweckt werden. „Das kann nicht mehr von Nazis angegriffen werden“, so der Künstler. Sein Werk soll einen Erinnerungsort bieten, diesen aber gleichzeitig mit der Zukunft verbinden. Daher dient die dazugehörige App als digitales, anti-rassistisches Medienarchiv, dessen Inhalte jederzeit erweitert werden können. Für Aminde ist es wichtig zu zeigen, dass dieser Teil der Geschichte nicht mit der bloßen Errichtung eines Mahnmals abgeschlossen sein kann. Denn solche Anschläge könnten sich jederzeit wiederholen.
Am Ende des Panels sind sich die Referenten einig: Die NSU-Verbrechen dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Genauso wichtig sei es jedoch, alle Aspekte der Taten offen darzustellen. Denn es scheint kein Zufall zu sein, dass sich die Nürnberger Tatorte rund um das ehemalige Reichsparteitagsgelände befinden. Tatsachen wie diese dürfen nicht versteckt, rechtsterroristische Gewalt von Institutionen nicht verschwiegen werden. Auch wenn ein solch offener Umgang die oft beworbene Weltoffenheit von Städten wie Nürnberg durchaus in Frage stellen könnte.
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz