Ein schlichter Glaskubus. So hoch, dass er die Tribüne nach oben vollständig umschließt – so tief, dass künftig niemand auf der "Führerkanzel" mehr aufrecht stehen kann. Der Nürnberger Architekt Thomas Glöckner hat anlässlich Nürnbergs Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2025 einen sehr konkreten Vorschlag zur Überbauung der Zeppelintribüne auf dem Ehemaligen Reichsparteitagsgelände gemacht. Ein Interview über den zunehmenden öffentlichen Diskurs, die Frage nach dem künftigen Umgang und den toxischen Geist, der auf dem NS-Gelände liegt.
Quelle: Glöckner Architekten GmbH
Illustration: Gerrik Steffen
Herr Glöckner, Sie haben bereits vor einem Jahr vorgeschlagen, die Zeppelintribüne auf dem Ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg mit einem gläsernen Quader zu überbauen. Warum denken Sie ist das der richtige Weg, um mit dem ungeliebten Erbe der Stadt umzugehen?
Leider ist die Auseinandersetzung mit dem Reichsparteitagsgelände nach der Fertigstellung des Dokuzentrums nicht mehr weitergeführt worden. Das Dokuzentrum war ein mutiger, wichtiger und richtiger Schritt. Die Zeppelintribüne wurde bislang eigentlich ausgeblendet. Für Autorennen war sie praktisch. Die einzige echte Auseinandersetzung fand 1978 durch Bob Dylan statt, der den Ort nach eigener Aussage mit "Freuden entweihte".
Was macht das Gelände mit seinen bröckelnden Steinruinen denn zum Lernort? Ich bin der festen Überzeugung, dass der Ansatz Domenigs weitergeführt werden muss. Dieser Weg muss unbequem sein. Weiterhin sollten wir selbstbewusster mit unseren demokratischen Errungenschaften sein. Der gläserne Kubus soll die beliebten Selfies auf der "Führerkanzel", die man haufenweise auf Instagram finden kann, unmöglich machen. Weiterhin soll der Quader ein Ort werden, der sich schon allein durch seine Positionierung zur Auseinandersetzung mit dem Bestand zwingt. Im Dach ein internationales Institut für politische Bildung, der Innenraum bietet Raum für kulturelle und andere Veranstaltungen.
Der Architekt Günther Domenig schuf mit dem Dokumentationszentrum einen Einbau, der sich deutlich von der Bausubstanz der Nazionalsozialist*innen abgrenzt. Mit einem Pfeil aus Glas und Stahl durchbohrte er die unvollendet geblieben Kongresshalle. Welche Rolle spielte Domenigs Werk bei Ihrem Vorschlag zur Überformung der Zeppelintribüne?
Ich baue gedanklich darauf auf und führe den Ansatz weiter. Die Auseinandersetzung mit dem Bestand muss deutlich erkennbar sein. Es ist ein grundlegender Irrtum, dass die Reste der NS-Architektur als Lernort funktionieren. Man kann aus bröckelnden Steinen keinen Erkenntnisgewinn über das Ausmaß des Schreckens ziehen. Das funktioniert nur durch aktive Auseinandersetzung mit den Bauten und ihrer Geschichte.
Welche Reaktionen haben Sie auf Ihren Vorschlag erhalten?
Ich erhielt sehr viele Reaktionen über Deutschland hinaus. Sie enthielten viele Fragen und Interesse. Insgesamt sehr viel Zustimmung, aber auch vereinzelte Anfeindungen. Sehr interessant fand ich dabei, dass Architekten und Historiker begannen, miteinander zu diskutieren. Allein die Tatsache, dass es zu so vielen Reaktionen kam, zeugt davon, dass es ein Bedürfnis gibt, sich weiterhin mit der Thematik auseinander zu setzen. Alles ist besser als Gleichgültigkeit und Stagnation.
Nun liegt der Vorschlag zur Überformung der Zeppelintribüne bereits ein Jahr zurück. Was hat sich seitdem getan?
Es hat ein öffentlicher Diskurs eingesetzt - das ist ein großer Erfolg. Immer wieder wird gefordert, dass die Stadt ihre selbst formulierten Leitlinien zum Umgang mit dem Gelände grundlegend überarbeiten muss. Vermutlich ist die Stadt Nürnberg aber mit der schieren Größe der Thematik überfordert. Das Reichsparteitagsgelände ist im Gegensatz zu den Konzentrationslagern kein Täterort, der sich von selbst erschließt. Die NS Ästhetik kann bis heute verführerisch wirken. Man darf das nicht unkommentiert und unbearbeitet stehen lassen.
Im Podcast der Nürnberger Nachrichten sprachen Sie von einem toxischen Geist, der auf dem NS-Gelände liegt und davon, dass man das Gelände von diesem befreien müsse – Ist es überhaupt sinnvoll, diesen Geist komplett zu vertreiben? Immerhin wird auf dem Ehemaligen Reichsparteitagsgelände Geschichte erlebbar gemacht und die Besucher*innen werden gezwungen, sich mit der Vergangenheit des NS-Regimes auseinanderzusetzen.
Wenn dieser Geist dazu führt, dass er Neonazis anzieht und zum Wallfahrtsort macht, dann ist er toxisch.
Der Geist muss in die Flasche, was heißen soll, dass wir als demokratische Gesellschaft zeigen müssen, dass wir stärker sind. Das und die aktive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist der Weg, das was wir als Gesellschaft erreicht haben, zu bewahren und weiter zu führen.
Auf Ihrer Website haben sie einen Aufsatz mit dem Titel Pragmatischer Imperativ zum Umgang mit der NS Architektur Nürnbergs veröffentlicht. Darin sprechen Sie sich gegen einen kontrollierten Verfall des Ehemaligen Reichsparteitagsgeländes aus, da dies im Sinne der Nationalsozialist*innen gewesen wäre. Welchen Umgang und Nutzung können Sie sich stattdessen künftig vorstellen?
Natürlich muss das Gelände ein Lernort sein und bleiben. Es reicht aber bei weitem nicht aus, an die Steintribüne Infotafeln und einen Pavillon zu setzen. Die nationalsozialistische Ästhetik bediente sich sehr gerne in der Klassik, der Renaissance und der Romantik. Letztere lieferte die ästhetischen Vorbilder der "Ruinenwerttheorie". Der kontrollierte Verfall war vielleicht an der Zeppelintribüne nicht offenkundig konstruktiv geplant, wohl aber ideologisch vorhanden. Die nachfolgenden Generationen sollten irgendwann einmal genauso ehrfürchtig auf die Ruinen des 1000-jährigen Reichs blicken, wie wir heute auf die griechischen und römischen Tempelruinen. In der Romantik gab es dazu von Caspar David Friedrich und anderen die ästhetischen Vorlagen, wie z. B. den berühmten Junotempel von Agrigent.
Wie nehmen Sie den öffentlichen Diskurs zum Umgang mit dem Ehemaligen Reichsparteitagsgelände wahr?
Allein die Diskussion darüber, ob das Opernhaus in den Innenhof der Kongresshalle soll, hat schon sehr viel bewirkt. Was aber noch immer fehlt ist die Bereitschaft, über Bausteinchen hinaus ein übergreifendes Gesamtkonzept zu denken. Die Denkmuster sind zu eng und zu wenig weitsichtig. Die Angst irgendeinen Fehler zu machen, ist zu groß. Der Ort ist von internationaler Bedeutung - und das für eine noch sehr lange Zeit. Wichtig dabei ist, dass man den Mut aufbringen muss, auch in diesen Bestand einzugreifen, wie es bereits Günther Domenig vorgemacht hat. Andernfalls bleibt die Kongresshalle ein Postkartenhintergrundmotiv mit See und Tretboot und Entchen davor.
Vielen Dank für das Interview!
Zum Architekturbüro Glöckner Architekten:
Das 1972 von Günther W. Wörrlein gegründete und heute von Thomas Glöckner geführte Architekturbüro versteht sich als „Ideenträger für eine zukunftsorientierte Bau- und Stadtkultur“. Das Projektportfolio beinhaltet Kulturbauten, Sportstätten, sowie Schul- und Industriegebäude. In einem internationalen Ausschreibungswettbewerb für den Bau der Olympiahalle in Peking setzte sich das renommierte Architekturbüro aus Nürnberg gegen 800 Mitbewerber durch.
Einige Beispiel aus dem Projektportfolio:
National Indoor Stadium Bejing,
Volksrepublik China
Entwurf für das Konzerthaus an der Meistersingerhalle Nürnberg
Schwimmhalle Sonneberg
Bildquelle: Glöckner Architekten GmbH
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz
am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg | Impressum & Datenschutz